Die Mutter aller Probleme

Merz und das Stadtbild – Was genau meint der Kanzler?

 

„Wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“, sagte Kanzler Friedrich Merz und löste damit Empörung aus. Alles (mal wieder) eine linksgrüne Hetzkampagne, habe ich mir erklären lassen, der Kanzler sei bloß falsch verstanden worden. Auf die journalistische Nachfrage, wie er das gemeint habe, antwortete Merz süffisant lächelnd, wir sollten unsere Töchter fragen und unterstreiche, was er gesagt hat.

 

Nun habe ich leider keine Tochter, muss also versuchen, mir selbst einen Reim darauf zu machen. Was bedeutet es denn, wenn das Stadtbild im Zusammenhang mit Migranten ein Problem ist? Wenn es um das Stadtbild geht, kann es ja nichts damit zu tun haben, ob ein Mensch hier geboren oder hierher geflohen ist, ob er hier arbeitet, ob er schon mal eine Straftat begangen hat. All das sieht man schließlich niemandem an. Demnach stören Friedrich Merz Menschen mit nicht-deutschem Aussehen.

 

Nein, so sei das natürlich nicht gemeint, musste ich mich belehren lassen. Er habe schließlich auch gesagt, dass er und seine CDU für ein offenes, liberales und demokratisches Deutschland stehen. Nun gut, was meinte er denn dann? In den sozialen Netzwerken wurde ich belehrt, dass es doch um Migranten gehe, die nicht arbeiten, diejenigen, die arbeiten, seien im Stadtbild ja gar nicht zu sehen, weil sie eben auf der Arbeit sind.

 

 

Also kein Achtstundentag für Migranten, damit sie das Stadtbild nicht stören? Ist es das, was der Kanzler im Sinn hat? Nun ja, kein Achtstundentag für niemanden wäre auch möglich, daran arbeitet die Regierung ja gerade fleißig. Ja, dass Migranten, die nicht arbeiten, im Stadtbild kriminelle Dinge tun, könne ja jeder sehen, habe ich mich weiter belehren lassen. Das zu leugnen oder dem zu widersprechen sei linksgrüne Hetze.

 

Aber ist es nicht vielmehr Rassismus, wenn hochrangige Politiker rassistische Ressentiments bedienen und der Widerspruch dagegen demokratische Pflicht? Auf keinen Fall, denn das wiederum mache nur die AfD groß. An diesem Punkt war ich kurz sprachlos. Doch doch, deren Zustimmung in der Bevölkerung wachse, weil die Linksgrünen die wahren und für alle sichtbaren Probleme leugne. Das habe sich in der „grünlinken Dekade“ (ja, wahres Zitat) deutlich gezeigt.

 

Moment. Linksgrüne Dekade? Also die zehn Jahre, in denen Robert Habeck Kanzler und Gregor Gysi Bundespräsident war, oder wie? Nein, natürlich auch die Merkeljahre mitgerechnet. Achso. Aber wären es dann nicht sogar zwei Dekaden? Natürlich nicht, denn Merkel sei ja erst 2015 mit der Massenmigration ins linksgrüne Lager gewechselt. Dass das ein Fehler war, habe damals ja schon Horst Seehofer erkannt, der die Migration als „Mutter aller politischen Probleme“ benannte.

 

 

Mir wurde jetzt zwar ein wenig schwindelig, aber noch wollte ich die Diskussion aufrecht halten. Welche großen Schäden die Migration denn verursacht habe, wollte ich daher wissen. Den Kollaps der Sozialsysteme, des Bildungssystems, der Krankenkassen und vor allem natürlich diesen rasanten Anstieg von Kriminalität, den man ja eben im Stadtbild sehen könne. Nun ja, aber rein statistisch sind die polizeilich erfassten Straftaten im Vergleich zu den Jahren zuvor nicht angestiegen, sondern sogar eher leicht gesunken.

 

Das gilt aber nur, wenn ich mir alle Straftaten ansehe, bestimmte Delikte haben sich seitdem vermehrt. Okay, okay, aber ging es nicht um die Mutter ALLER Probleme. Sei’s drum. Auch warum die Gesamtzahl der Straftaten sinkt, wenn einzelne Delikte eklatant steigen, konnte mir mein Gegenüber plausibel erklären. Zum einen wurde schließlich Cannabis legalisiert, zum anderen seien die Deutschen ja auch im Schnitt viel zu alt, um überhaupt noch Straftaten zu begehen.

 

Die Frage, ob Überalterung einer Gesellschaft die Politik nicht auch vor Herausforderungen stelle und ob das nicht durchaus auch Auswirkungen auf die Sozialsysteme etc. habe, schenkte ich mir. Stattdessen erlaubte ich mir einen Hinweis darauf, dass Studien ja belegen, dass nicht die Herkunft Ursache für Kriminalität ist, sondern die Lebensumstände. Somit könne es ja durchaus auch ein Weg sein, die hier lebenden Migranten zu integrieren, statt sie zum Sündenbock zu machen.

 

 

Aber so viele seinen nun mal dagegen, massenhaft Migranten hier anzusiedeln. Da sei es politisch viel einfacher, niemanden mehr reinzulassen. Dadurch ändere sich aber das Stadtbild noch nicht, wandte ich vorsichtig und mit böser Vorahnung ein. Eben. Darum arbeite unser Innenminister ja auch an Abschiebungen. Auch die haben die Linksgrünen ja immer verhindert, sogar schon seit den 90ern. Wobei sie sich dabei meist auf das Grundgesetz, auf EU-Recht oder die Menschenrechte berufen haben. Das natürlich auch nur, weil auch Europa fest in linksgrüner Hand ist. Die Bevölkerung hingegen wünsche sich etwas anderes.

 

Nun habe ich die Erfahrung gemacht, dass es die Bevölkerung als einheitlich denkende Masse nur in populistischen Narrativen gibt, doch das Argument wurde natürlich auch vom Tisch gewischt. Nein, nein, würden die Grünen und Linken nicht alles blockieren, könne die CDU endlich gute Politik machen. Ach ja und ohne die ebenso immer blockierende SPD natürlich. Das sei ja wohl offensichtlich.

 

Jetzt könne ich verstehen, dass es in der CDU Stimmen gibt, die gegen eine Brandmauer und für eine Koalition mit der AfD sind, merkte ich an. Nur warum die Linksgrünen dann Schuld daran sind, habe ich ehrlich gesagt nicht so ganz verstanden. Und auch nicht, warum ausländisch aussehende Menschen in unserem Stadtbild Sündenböcke für alles sein müssen. Aber ich bin ja auch nur ein Linksgrüner, der nicht die Migration als Mutter aller Probleme sieht, sondern viele andere Faktoren wie eine sich rasant verändernde Welt inklusive Klimawandel, erstarkenden Populismus und auch ein demokratiegefährdendes Verteilungsproblem.