Kultur zur Stärkung der Demokratie – kann das gelingen?
Wenn wir zulassen, dass die Demokratie zerstört wird, werden wir es nicht mehr erleben, dass sie erneut aufgebaut wird, meinte Ayda Kırcı bei ihrem Konzert im Theater der Nacht in Northeim. Es war die Nacht der Demokratie am Vorabend des Tages der Demokratie, zu der der Heimat- und Museumsverein für Northeim und Umgebung e. V. eingeladen hatte. Ayda und ihre Band Anatolian goes Jazz präsentierten – wie der Name schon verrät – eine musikalische Symbiose aus türkischen Volksliedern und Jazz.
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erklären, dass ich von der HNA diesen Termin bekommen habe, um darüber zu berichten. Wie so oft habe ich mich im Vorfeld nicht groß vorbereitet, teils sicher auch aus Faulheit, aber auch, weil ich oft das Gefühl habe, viel unbefangener und direkter über etwas zu schreiben, zu dem ich keine vorgefertigte Meinung habe. Jedenfalls wusste ich nur, dass im Figurentheater „Theater der Nacht“ eine Nacht der Demokratie mit einem Konzert, einer Mischung aus türkischen Volksliedern und Jazz, stattfinden sollte. Klang für mich erstmal ein wenig wirr, aber wie gesagt, ich wollte mich darauf einlassen.
Als ich ankam, posierten vorm Eingang die Vertreter des Heimat- und Museumsvereins mit denen aus der Politik für die typischen Fotos, auf denen sich hinterher immer alle gerne sehen. Etliche Besucher waren auch da, was mich ehrlich gesagt doch ein wenig überraschte. Wenig später tauchten dann zwei auffällige Figuren auf, ein Herr mit Glatze, großer Nase und großem Mund – nein, ich war es nicht – Herr Rupert vom Retoberg, eine der bekannten Figuren des Theaters. Dazu ein Wesen, das man gesehen haben muss, da es sich kaum beschreiben lässt – ein Einhorn.

Da ich selbst über viele Jahre Figurentheater gespielt habe, kann ich mich dafür auf jeden Fall begeistern und vor allem mich darauf einlassen. Trotzdem wollte ich vom stellvertretenden Vereinsvorsitzenden, Marek Wischnewski, noch einmal genauer wissen, um was es nun eigentlich gehen sollte. In der Kultur sind Verschmelzungen problemlos möglich, erklärte er, durchaus üblich und eigentlich immer bereichernd. Da gehe ich auf jeden Fall mit.
Das sollte nun durch das Konzert präsentiert werden, denn die Musik erweiterte den gewöhnten akustischen Horizont. Dass es im Theater der Nacht stattfand, so erklärte mir Sängerin Ayda, hatte vor allem damit zu tun, dass sie diesen Ort sehr mochte und er für sie auch eine Strahlkraft bis nach Hannover hat, woher sie und ihre Band kommen. Okay, auch das leuchtete mir ein. Aber türkische bzw. anatolische Volkslieder und Jazz?
Tatsächlich war die Musik sehr gut hörbar, echt etwas Neues, und vor allem toll präsentiert. Dank der oft sehr persönlichen kulturgeschichtlichen Erläuterungen Aydas zu den einzelnen Songs war es gut nachvollziehbar und letztlich auch ohne Kenntnisse der türkischen Sprache in ihrer Emotionalität problemlos zu verstehen.
So wie Musik ist auch unsere Heimat in stetigem Wandel, schlug Marek in seiner Anmoderation den Bogen zu dieser ambitionierten Veranstaltung. „Wir wollen Menschen durch Kultur verbinden“, sagte er, das gelinge in Northeim durch das weit über die Grenzen hinaus bekannte Theater der Nacht immer wieder. Den Beweis dafür lieferten ja die „Bewohner“ des Theaters der Nacht, allen voran Rupert vom Retoberg (das Einhorn konnte nicht oder zumindest nur sehr wenig sprechen), die schon beim Empfang mit veganem Buffet den Kontakt zu den Besuchern aus Fleisch und Blut suchten und damit schnell Gespräche in Gang brachten.

Ayda, die zwischendurch auch von ihrer Familien- und Migrationsgeschichte erzählte, war eben wirklich der perfekte Gast für eine solche Nacht der Demokratie. Sie berichtete zum Beispiel, wie sie in der Grundschule kaum Deutsch sprach, dadurch lange unsicher war, erst später auf dem Gymnasium dank der Musik immer mehr Selbstsicherheit gewann. Solche Geschichten sind ja nun mal der beste Beweis, dass Kulturen zusammenwachsen und einander gegenseitig bereichern können.
Die Bedeutung des großen Themas, das über allem schwebte, wurde auch von den Grußworten des Landtagsabgeordneten Sebastian Penno, der stellvertretenden Landrätin Gudrun Borchers und Bürgermeister Simon Hartmann untermauert. Sie machten deutlich, dass Kultur eine Gesellschaft von innen her stärkt und mit Leben füllt. „In den USA erleben wir, wie die Demokratie in atemberaubendem Tempo rasiert wird“, betonte Simon Hartmann, „das muss uns eine Mahnung sein.“
Statt weiterer mahnender Worte gab es dann aber gesungene, Worte und Melodien, die letztlich auch deutlich machten, dass die Gefühle der meisten Menschen, ganz egal wo, relativ ähnlich sind. Damit war dieser Abend ein klingender Beweis dafür, dass Vielfalt und Toleranz sehr viel mehr sind als politische Schlagwörter. Und für mich wieder mal die Erfahrung, wie bereichernd es sein kann, wenn ich mich auf Neues einlasse und mir nur ein wenig Mühe gebe, die Ideen und Visionen anderer zu verstehen.