Zu arm für Ananas

Warum die Tafel für unsere Gesellschaft wichtig ist

 

Durch aktuelle Debatten zum Bürgergeld und politische Angriffe auf den Sozialstaat geraten auch die Tafeln in die Diskussion. In der vergangenen Woche mischte ich mich in einem sozialen Netzwerk in eine Diskussion zum Thema Armut und Geld für Lebensmittel ein, in der kritisiert wurde, dass Kund*innen der Tafel diese Unterstützung ja nicht bräuchten, wenn sie ihr Bürgergeld nicht für Zigaretten und Tattoos ausgeben würden.

 

Zwar weiß ich nicht, wie viel Prozent der Kund*innen der Osteroder Tafel Raucher oder tätowiert sind, das spielt aber auch keine Rolle. Mir ging es eher darum, dass ich auch Menschen mit geringem Einkommen nicht bevormunden will, weil das durchaus etwas mit Würde zu tun hat. Fast schon vorhersehbar gab es darauf dann einen Kommentar, in dem jemand behauptete: „Ich erinnere mich dass ich mal keine Ananas gekauft habe, weil die mir einfach zu teuer war. Als ich bei der Tafel vorbeikam hatte jeder eine Ananas. Ich dachte einfach nur noch wer arbeitet macht irgendwas falsch in Deutschland.“

 

Hierzu ist Folgendes zu sagen: Die Aufgabe, die sich die Tafel gestellt hat, ist zweierlei. Zum einen natürlich, Lebensmittel vergünstigt an diejenigen weiterzugeben, die sich wenig leisten können. Zum anderen aber auch, Lebensmittel, die in den Märkten nicht verkauft und sonst weggeworfen werden, zu retten. Dieser Aspekt ist in unserer Konsumgesellschaft aus Gründen der Nachhaltigkeit ebenso wichtig. Und aus diesem Grund kann es durchaus dazu kommen, dass ein Markt mal deutlich mehr Ananas einkauft als verkauft werden und dann eine relativ große Menge von der Tafel abholen lässt.

 

 

So kann es passieren, dass an manchen Ausgabetagen die Kund*innen alle mit einer Ananas nach Hause gehen. Es könnte durchaus auch Kaviar sein oder Champagner (auch wenn das praktisch eher selten vorkommt). Fakt ist jedenfalls, dass es für die Bedürftigen nicht nur Lebensmittel gibt, die kurz vorm Vergammeln sind, sondern frische Waren aller Art. Wer da nun neidisch nach unten blickt oder gar tritt, sollte daraus nicht den Schluss ziehen, dass alle, die arbeiten gehen, etwas falsch machen, sondern vielmehr seinen Wertekompass hinterfragen.

 

Der Ursprung der Tafeln war der, dass Menschen feststellten, dass wir zum einen in einer Wegwerfgesellschaft leben und dass zudem Vermögen in unserem reichen Land äußerst ungerecht verteilt ist. Diesem Missstand nahmen sich Menschen ehrenamtlich an, holten Lebensmittel bei Supermärkten etc. ab und gaben sie an diejenigen weiter, die sie am dringendsten brauchen.

 

Darunter faktisch wie statistisch viele Kinder aus armutsgefährdeten Familien und viele Rentner*innen. Wie viele davon rauchen, weiß ich ehrlich gesagt nicht, offensichtlich tätowiert sind definitiv die wenigsten. Fakt ist aber auch, dass sich die Zahl der Tafeln in Deutschland seit Mitte der 90er Jahre vervielfacht hat, um die Jahrtausendwende waren es etwa 250 Tafeln, inzwischen fast 1000. Zur Osteroder Tafel gehören insgesamt elf Ausgabestellen in der Region, die Zahl der Kund*innen ist in den vergangenen zwanzig Jahren stetig gestiegen.

 

 

Grund dafür ist sicher nicht, dass die Deutschen immer fauler werden bzw. erkannt haben, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt. Grund ist vielmehr eine immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen arm und reich, die dafür sorgt, dass immer mehr Menschen vom Lohn für ihre Arbeit oder ihrer Rente nicht mehr über die Runden kommen.

 

Gerade deshalb macht es mich ehrlich gesagt wütend, wenn populistische Politiker und andere in einigen Medien lauthals verkünden, dass wir nicht mehr leistungsbereit seien, durch Bürgergeldempfänger wirtschaftliche Probleme hätten und uns den Sozialstaat nicht mehr leisten könnten. Ohne Ehrenamtliche – nicht nur, aber auch bei der Tafel – sähe es in unserem Land noch ganz anders aus. Und an dieser Stelle sei außerdem betont, dass bei der Tafel meist nicht die oberen Zehntausend ehrenamtlich tätig sind, sondern häufig Menschen, die selbst nicht weit von der Bedürftigkeitsgrenze entfernt sind.

 

Diese Menschen sorgen unentgeltlich dafür, dass Tonnen von Lebensmitteln in Deutschland nicht verkommen und dass zahlreiche Familien nicht verzweifeln, weil sie den Kindern keine ausgewogene Ernährung bieten können. Diese Menschen sorgen dafür, dass sich der Staat diese großen Aufgaben (für die er aus meiner Sicht aber verantwortlich wäre) gar nicht leisten muss. Aus diesem Blickwinkel ist vielleicht nachvollziehbar, warum Menschen, die auf die Ärmsten unserer Gesellschaft herabschauen, und insbesondere Politiker, die sie auch noch zu Sündenböcken erklären, mich mehr und mehr sauer machen.