Digitalbotschafterin spricht über Gefahren für Kinder im Internet
„Ich möchte Sie mitnehmen in den Abgrund dessen, was im Netz passieren kann“, sagte Silke Müller zu Beginn ihres Vortrags zum Thema Internet und Kinder- und Jugendschutz. „Sehen wir noch was in den Kindern vorgeht?“, fragte sie und spielte damit auch auf den jungen Amokläufer an einer Schule in Graz an. Auch er war wohl jemand, der sich sehr zurückzog und in Internetwelten flüchtete.
Silke Müller ist Schulleiterin in Wildeshausen bei Oldenburg, Buchautorin und Digitalbotschafterin des Landes Niedersachsen. Nach der schrecklichen Tat in Graz war sie in der vergangenen Woche in
Österreich als Expertin für Interviews eingeladen, fand aber dennoch Zeit für einen Videovortrag im Rahmen des Empfanges des Kirchenkreises Harzer Land.
„Es ist mir ein Anliegen, dass wir die sozialen Medien nicht nur nutzen, sondern uns auch mit ihren Herausforderungen auseinandersetzen“, machte Superintendentin Ulrike Schimmelpfeng deutlich,
warum Silke Müller als Referentin angefragt worden war. Dazu nämlich hat sie einiges zu sagen, und das tatsächlich aus einem ganz praktischen Blickwinkel. Als Schulleitein nämlich hat sie eine
Socialmediasprechstunde ins Leben gerufen, in der Kinder über alles reden können, was sie im Netz zu sehen bekommen, was sie bewegt und auch verstört.

Zunächst einmal wertfrei, nicht um zu verbieten, sondern um zu verstehen. Das nämlich, so führte die Referentin aus, sei ein großes Problem. Das Handy nimmt heute in der Freizeit – nicht nur bei Kindern – immer mehr Raum ein. Etliche Eltern nutzen elektronische Medien auch viel zu früh, um ihre Kinder ruhig zu stellen. Ja, digitale Teilhabe sei wichtig, betonte Müller, ebenso aber das Wissen um das, was Kinder und Jugendliche im Netz unweigerlich zu sehen bekommen.
Als Beispiele zeigte sie einige virale Videos etc., die erst einmal harmlos erscheinen, letztlich aber bei einer Katze im Mixer oder Gaskammern im Spiel „Roblox“ (die beiden letzten Beispiele
zeigte sie natürlich nicht explizit) enden. Bereits Grundschulkinder kennen das alles. Die Algorithmen von TikTok und anderen sorgen dafür, dass nicht die Kinder solche Inhalte finden, sondern
solche Inhalte die Kinder finden, ihnen so oder so in die Timeline gespült werden.
Laut Studien, so führte sie aus, fühlen sich 21 % der 7 bis 17-Jährigen einsam. So auch der Täter von Graz. 58 % der 12 bis 19-Jährigen lesen Fake News, 51 % beleidigende Kommentare, 42 %
radikale Ansichten, 40 % Verschwörungstheorien (laut JIM-Studie). Jedes dritte Kind erfährt sexuelle Belästigung.
Das heiße nicht, dass wir die Digitalität verteufeln sollen, machte die Referentin deutlich, aber „wir müssen die Schattenseiten in den Griff bekommen.“ Dabei geht es um Kompetenzen, die ihrer
Meinung nach bei Kindern wie auch uns Erwachsenen viel zu wenig ausgeprägt seien. Technische Einstellungen auf den Endgeräten oder generelle Verbote reichen absolut nicht aus.

Hinzu kommen jetzt und in nächster Zukunft weitere Herausforderungen durch künstliche Intelligenzen, die vieles sehr einfach machen, neue Realitäten schaffen und auch gut zur Beeinflussung nutzbar sind. Inzwischen fällt es selbst geschulteren Menschen schwer, KI-Inhalte eindeutig zu erkennen. „Und KI geht nicht wieder weg.“ Darum sei Medienkompetenz ungemein wichtig.
Einige ihrer Lösungen beruhen auf Altersbeschränkungen für Social Media, auf Verboten an Schulen, aber nicht von jeder Schule einzeln geregelt, sondern landes- oder gar bundesweit, und auch in
einem generellen Verbot von Kinderfotos im Netz. „Ich erwarte, dass die Politik durchgreift“, forderte Silke Müller. Vor allem aber müssten wir uns mit dem beschäftigen, was unsere Kinder im Netz
konsumieren. „Wir haben unsere Kinder an der Stelle verloren, wo wir aufhören, uns für sie zu interessieren.“
Sie sorgte mit ihrem Vortrag bei ihren Zuhörer*innen – zu denen nicht nur geladene Gäste aus dem kirchlichen Umfeld gehörten, sondern ebenso aus der Politik und den Schulen im Harzer Land – für
neue Einblicke und Hintergründe und ebenso für ausreichend Diskussionsstoff.