Wenn Mut und Vorstellungskraft nicht belohnt werden
Wirtschaftlich steht es nicht gut um Deutschland. Das hat natürlich mit internationalen Krisen zu tun, aber auch mit uns selbst. Vor allem mit fehlendem Mut, wirklich etwas Neues zu wagen. Oft genug verstecken wir uns hinter Bürokratie, hinter Bedenken und merken dabei gar nicht, dass wir diejenigen, die wirklich Visionen haben, damit ausbremsen. Besonders deutlich geworden ist mir das an einem Fall, über den ich vor gar nicht langer Zeit geschrieben habe:
Der gesamte Raum ist voller Bilder, Skulpturen, Farben, Pinsel, Werkzeuge. Von der Decke hängen fantastische Flugobjekte in einer Art Steampunk-Stil, auf den Bildern immer wieder Bäume, denn die mag Asri Sayrac besonders. Weit verzweigtes nicht sichtbares Wurzelwerk, daraus erwächst ein fester Stamm, der sich dann als Krone breit fächert, das ist es, was ihn fasziniert und auch in mancherlei Hinsicht auf uns Menschen übertragbar ist.
Asris eigene Wurzeln liegen in Istanbul, wo er geboren ist, da seine Eltern aus Georgien dorthin flohen. 1978 kam er nach Deutschland, lebte und arbeitete lange Zeit in Berlin, ist seit 1995
deutscher Staatsbürger. Die Kunst hat ihn sein Leben lang begleitet, er schuf zahlreiche Werke und darüber hinaus auch Netzwerke für andere Künstler wie die Kunstfabrik am Flutgraben in Berlin.
Im Sommer 2022 kam er nach Katlenburg, zog auf die Burg, wo er wohnt und auch sein Atelier hat.
Von Anfang an hatte Asri Sayrac dort mehr vor, wollte aus dem Lost Place, als der sich viele der Gebäude derzeit präsentieren, nach Berliner Vorbild ebenfalls einen Ort für Kunst und Künstler
schaffen. „Regeln brechen gehört zum Künstler“, sagt er, weshalb er der Gemeinde sein Konzept präsentierte und stieß erst einmal auf großes Interesse und die Zusage, dass etwas passieren wird.
Bei dieser vagen Zusage sei es seitdem geblieben. Die Räume, in denen er sein Atelier eingerichtet hat, seien kalt und feucht, am Gebäude, für das er schließlich Miete zahlt, wurde seitdem nichts gemacht. „Im Winter kann ich da nicht arbeiten“, sagt Asri und kann die Enttäuschung nur schwer verbergen.
Seine Pläne sehen vor, dass Künstler hier wohnen und arbeiten könnten, mit Stipendien für ein halbes Jahr oder ein Jahr, dazu Symposien und regelmäßige Veranstaltungen für Besucher aus der Region
oder auch von weit her. Asris Netzwerk erstrecke sich über ganz Europa, Asien und die gesamte Welt. Die idyllisch gelegene Katlenburg könnte seiner Meinung nach ein Treffpunkt mit großer
Strahlkraft werden. Gerade die Verbindung zur Natur könnte ein wiederkehrendes Thema sein, so stellt er es sich vor, doch inhaltlich will er der Kreativität natürlich keine Grenzen setzen.
„Es kann sich viel entwickeln“, sagt er, „doch erstmal müssen wir dafür einen Raum schaffen.“ Die Kunstfabrik am Flutgraben in Berlin trägt sich bis heute selbst durch die Vermietung von Atelier-
und Gemeinschaftsflächen. Die Gemeinde müsse also lediglich dafür sorgen, dass die Gebäudesubstanz nicht noch mehr verfällt, doch seit er hier wohne, passiere leider rein gar nichts.
Bürgermeister Uwe Ahrens sieht das natürlich etwas anders. Asri Sayrac sei in einer Notlage nach Katlenburg gekommen, habe nicht gewusst, wohin mit seiner Kunst, man habe ihn hier aufgenommen, sagt er. Die Wohnung sei auf jeden Fall in Ordnung, die Wirtschaftsgebäude, in denen sich das Atelier befindet, leider nicht beheizbar.
„Das Objekt haben wir vom Land aufs Auge gedrückt bekommen“, so Ahrens, im Zuge der Gebietsreform 1974. Seitdem ist die Gemeinde Katlenburg-Lindau für die Burg zuständig, die Ländereien aber, die
Pacht abwerfen, habe das Land behalten. Daher ist es eine große Herausforderung, das Areal instandzuhalten, die allerdings immer gemeistert wurde.
Investoren werden gesucht, doch „es muss wirtschaftlich nachhaltig sein“, sagt der Bürgermeister. Ihm schweben kleinteilige Lösungen vor, denn die Reithalle werde ja für Veranstaltungen genutzt,
ebenso finden Trauungen statt, für das Haupthaus wurde vor den Corona-Jahren ein Sanierungsplan aufgestellt, für den jetzt aber Zuschüsse fehlen.
„Wir haben andere prioritäre Finanzbedarfe“, erläutert er, betont aber auch, dass er einer Zusammenarbeit mit Asri Sayrac nicht abgeneigt ist. Allerdings würde es geschätzt etwa 50.000 Euro kosten, den Atelierbereich zu sanieren, eine Künstlerakademie noch deutlich mehr. Allein könne eine kleine Kommune das nicht stemmen, doch wenn Asri Sayrac eigene Finanzmittel einbringt oder andere, die hier investieren, sei durchaus vieles möglich. Katlenburg sei nun einmal nicht Berlin.
Asri hingegen ist überzeugt, dass er in Zusammenarbeit mit der Gemeinde, mit Künstlern, die er kennt, und auch mit eigenen Mitteln etwas Zukunftsfähiges mit großer Strahlkraft hier aufbauen kann.
Willensbekundungen seitens der Kommune habe er viele bekommen, doch bisher nie etwas Konkretes, weil es immer wieder ein Aber gebe.
Sein Blick geht zu den beweglichen Flugobjekten an der Decke, die für ihn Freiheit und ein Fortkommen symbolisieren. Vielleicht ist gerade deshalb das Warten hier für ihn so unerträglich. „Ich
verhungere hier geistig“, sagt Asri Sayrac bedauernd, wenn sich nicht bald etwas tue, müsse er weiterziehen.