Demokratie in Gefahr

Die Spaltung der Gesellschaft wird sichtbar

 

Lange Reihen von Polizist*innen trennen die Kreuzung vorm Göttinger Rathaus (Hiroshimaplatz/Bürgerstraße) strikt und unnachgiebig. Auf beiden Seiten Demonstrierende, auf der einen Seite Querdenker, Reichsbürger und Rechte, auf der anderen zahlreiche Institutionen und Gruppen zur Gegendemo.


Die Polizei hat sich lange auf diesen Tag vorbereitet und Einsatzkräfte von Osnabrück bis Erfurt angefordert, denn die Querdenker haben Tausende Teilnehmer angekündigt. „Versammlungsfreiheit statt Extremismus“, so ihr Motto.


Versammelt hatten sich einige Mitglieder der rechten Szene ja im November in einem Hotel in Potsdam, so berichtete das Recherchezentrum Correctiv gerade, versammelt mit Mitgliedern der AfD, Mitgliedern der Werte-Union, der identitären Bewegung, Unternehmern und anderen. Dabei ging es um die Deportation von Ausländern und jenen, die nicht für deren Abschiebung sind, um Remigration, wie sie es nennen, also um ein moderner verpacktes „Ausländer raus“.

 

 

Gerade diese Veröffentlichung hatte viele bewogen, sich der Gegendemo anzuschließen, zu der unter anderem das Göttinger Bündnis gegen Rechts mit den „Omas gegen Rechts“, dem DGB und vielen anderen unter dem Motto „Querdenken einfrieren“ aufgerufen hatte. Leider bestätigte das Wetter genau das, doch nach brennenden Barrikaden beim letzten Aufeinandertreffen beider Fronten wussten alle sowieso, dass sie sich – wenn auch im übertragenen Sinn – warm anziehen mussten.


Deeskalation war der Grundsatz der Polizei, das große Aufgebot und die Positionierung an vielen Straßen und Knotenpunkten der gesamten Innenstadt sprach dafür, dass es nicht zu Konflikten und Krawallen auf der Marschroute der Demos kommen sollte.


In den Kundgebungen der Querdenker ging es gegen links-grün-versiffte Demonstranten, gegen die Mainstream-Medien, gegen die Antifa, gegen Coronamaßnahmen und es wurde Hoffnung in die Wahlen in Deutschland und den USA, also in die AfD und Trump, sowie in den Friedensbringer Putin verlautbart. Auf der Gegenseite wurde ein Zusammenhalt demokratischer Kräfte bekundet und die Ablehnung des Faschismus.


Während die Gegendemonstranten später friedlich durch die Fußgängerzone zogen, kamen die Querdenker an vielen Stellen nicht voran, da sich Sitzblockaden gebildet hatten, die ihren Weg blockierten. Diese Gegendemonstranten wurden zum Teil nach mehrmaligen Aufforderungen der Polizei letztlich von der Straße getragen, zum Teil wurde die Querdenken-Demo umgeleitet. Dieses Spiel wiederholte sich wieder und wieder, zum Teil auch unter Einsatz von Pyrotechnik und mit brennenden Mülltonnen, so dass auch die Feuerwehr ausrücken musste.

 

 

Laut Polizei waren etwa 450 Querdenker und mehr als 2500 Gegendemonstranten unterwegs. Es gab einige vorläufige Festnahmen, beschädigte Fensterscheiben, aber wohl keine Verletzten. Insgesamt elf Demonstrationen waren angemeldet, die die Polizei jederzeit im Griff zu haben schien, so dass die von manchen erwarteten großen Krawalle ausblieben.


Was aber in jedem Fall bleibt, ist eine tiefe Spaltung der Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen die, die dem Staat, den Medien, der Wissenschaft misstrauen und eine Abschottung vor der Welt und auch vielleicht der Gegenwart und Zukunft wollen. Auf der anderen Seite wächst bei vielen anderen die Angst vor einer Wiederholung der deutschen Geschichte, vor Rassismus, Faschismus und Totalitarismus und vor einer Abschottung vor der Welt und der Gegenwart und Zukunft.


Zu jener Seite zähle auch ich mich, denn ich glaube nicht, dass diese Demo die letzte ihrer Art war, und fürchte, weitere, deutlich aufgeladenere und schwerer kontrollierbare werden folgen. Was mir im Moment noch Hoffnung macht, sind die nackten Zahlen, die für eine Mehrheit der überzeugten Demokraten sprechen und eben auch eine Exekutive, die ein heftigeres Aufeinandertreffen beider Fronten verhindern kann.


Ob das allerdings immer so bleibt, weiß ich nicht. Was werden die nächsten Wahlen bringen, wenn sich ein großer Teil der Bevölkerung gegen demokratische Parteien ausspricht? Wie weit können Menschen noch von Populisten manipuliert und aufgehetzt werden, wenn nicht einmal Meldungen über geplante Deportationen dazu führen, dass sich viele Menschen umgehend von dieser Bubble distanzieren?