Der Wert einer Gesellschaft - Teil 2
Der Paragraph 217 des Strafgesetzbuches, in dem es um die Förderung der Selbsttötung geht, wurde Anfang 2020 vom Bundesverfassungsgericht gekippt, weil dieses die Beihilfe zum Suizid, also das selbstbestimmte Sterben nicht als Straftat sieht. Seitdem wird über die Freiheit, sich das Leben zu nehmen rechtliche, politisch, ethisch und auch theologisch kontrovers diskutiert.
Dr. Dorothee Arnold-Krüger vom Zentrum für Gesundheitsethik an der evangelischen Akademie Loccum war am Montag im Kirchenkreis Harzer Land in Osterode zu Gast, um über die kirchlichen Positionen
zum assistierten Suizid zu sprechen. Pastorin Ute Rokahr und Superintendentin Ulrike Schimmelpfeng hatten sie eingeladen und setzten damit die Reihe fort, die mit einer Veranstaltung mit Prof.
Dr. Friedemann Nauck zu den medizinischen Aspekten begann.
„Es war ein Paukenschlag“, sagte Dr. Arnold-Krüger über das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, zum einen, weil es sogar live im Fernsehen übertragen wurde, zum anderen, weil es die Debatte um
den assistierten Suizid erst richtig ins Rollen brachte. Die Referentin machte erst einmal deutlich, dass zwischen der Hilfe beim Sterben und der Hilfe zum Sterben unterschieden werden müsse, wie
es auch schon Prof. Dr. Nauck erläutert hatte.
Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland untersagt, der §217, der erst 2015 eingeführt worden war, regelte die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, die damit unter Strafe gestellt wurde. Seit 2020 arbeitet der Bundestag an einer Neuregelung, für die es bisher mehrere Entwürfe gibt, die sich in einigen Punkten unterschieden, darunter auch die Forderung einer Wiedereinführung von §217. „Wie der Bundestag sich entscheiden wird, ist derzeit noch offen“, vermutete Dr. Arnold-Krüger.
Letztlich sei es schwer, die Moralvorstellungen, die innerhalb einer Gesellschaft auseinandergehen, in ein für alle gültiges Gesetz zu fassen. Das Recht, so sagte sie, müsse immer einen größeren
Rahmen umfassen als die Moral. Damit ist man bei einer ethischen und auch theologischen Diskussion angekommen. Auch innerhalb der evangelischen Kirche gibt es hierzu verschiedene Positionen, die
sie im Folgenden skizzierte.
Über allen steht letztlich die Frage, was Vorrang hat, das Selbstbestimmungsrecht oder der Lebensschutz. Die Unantastbarkeit des Lebens stellt für uns ein hohes Gut dar, ebenso aber die
Menschenwürde und die Entscheidungsfreiheit des Individuums. Einige Theologen argumentieren damit, dass das Leben als Gabe der Schöpfung anzusehen und somit unantastbar ist, auch für den
einzelnen. Daher sei der assistierte Suizid abzulehnen, so ihre Schlussfolgerung.
Andere, zu denen auch der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zählt, argumentieren mit der Auferstehung, die uns vom Tod erlöst. „Nach wie vor ist
Sterbebeistand, nicht Sterbehilfe die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten“, sagte Huber, der in einem Artikel der FAZ auch die Frage aufwarf, ob unser Leben denn als eine Gabe oder als Besitz
anzusehen sei.
Vertreter der liberalen Theologie vertreten die Auffassung, dass Gott uns Individualität und Subjektivität garantiere, die Freiheit der Lebensgestaltung also gegeben sei und das Leben somit keine Pflicht. Es gebe somit Situationen, in denen das Leben nicht mehr lebenswert ist und kein Aushalten verlangt werden dürfe.
Durch ihre Ausführungen machte Dr. Arnold-Krüger deutlich, wie sensibel dieses Thema ist und dass es letztlich in der Bewertung immer vom Einzelfall also vom jeweiligen Betroffenen abhänge. Das
macht eine allgemeine Gesetzgebung nicht eben einfacher und die Diskussion darüber so langwierig. Könnte begleiteter Suizid nicht auch eine kirchliche Aufgabe sein? Könnte die Diakonie nicht in
solche Prozesse eingebunden werden?
Auch dazu gibt es keine eindeutigen Positionierungen, die Einrichtungen müssen ihre Entscheidungen selbst treffen. Doch können die Träger überhaupt ablehnen, dass beispielsweise Vertreter von
Sterbehilfeorganisationen in ihre Häuser kommen? „Wir helfen beim Sterben, aber nicht bei der Selbsttötung“, formulierte dazu die Diakonie Wuppertal.
Der Dialog in diesen Fragen ist wichtig, betonte die Referentin noch einmal, bevor sie sich selbst in den Dialog mit ihren Zuhörerinnen und Zuhörern begab. Es gab viele Fragen, viele Anmerkungen
und am Ende dieses spannenden Abends wenig eindeutige Antworten, eben weil es ein komplexes Themenfeld ist.
Fortsetzung folgt...