"Hat die Propaganda und Umerziehung so gut funktioniert bei Ihnen?“

Guilty Pleasure: Derrick - Teil 2

 

Also gut, jetzt muss ich ein bisschen weiter ausholen. Tatsächlich gab es eine Folge, die ich wirklich gut fand, zumindest größtenteils. Darin ging es um einen jungen Mann, der bei der Polizei auftauchte, um jemanden des Mordes anzuklagen. Jener Mörder nämlich, so erklärte er Derrick, sei kurz nach dem Krieg gemeinsam mit seinem Großonkel über die Zonengrenze geflohen, so jedenfalls war es geplant. Doch der Großonkel, seines Zeichens Juwelier, habe Diamanten für einen Neustart im Westen bei sich gehabt und als er seinem Begleiter davon erzählte, brachte dieser ihn um und wurde dank des Startkapitals schließlich selbst zum erfolgreichen Geschäftsmann.

 

Jetzt etliche Jahre später wollte der junge Mann Rache und bat Derrick, den Fall aufzuklären, da Mord ja nach den neuesten Gesetzen nicht mehr verjähre. Der hat da ganz offensichtlich nicht so richtig Bock drauf, sieht stattdessen den Ankläger – übrigens gespielt von Mathieu Carrière – äußerst kritisch. In einem Dialog erklärt Carrière dann, dass doch jemand die Verantwortung übernehmen müsse, jemand den ganzen Mist in der Welt aufräumen müsse. Derrick antwortet, es sei nicht Aufgabe der Polizei, aufzuräumen, sondern für Ordnung zu sorgen.

 

Und eben diese Ordnung störte der absolut unsympathische und penetrant auftretende Linke nun mal. In der Folge setzte Carrière dem inzwischen gealterten Geschäftsmann ordentlich zu, so sehr, dass der sich am Ende das Leben nahm, aber in einem Abschiedsbrief erläuterte, er habe den Großonkel nicht umgebracht, das sei jemand anderes gewesen, er habe sich nur die Diamanten unter den Nagel gerissen. In der letzten Szene warf Derrick dem Neffen dann vor, nun habe er sich jedoch schuldig am Tod eines Menschen gemacht.

 

 

Harter Tobak. Grundsätzlich Stoff für spannende gesellschaftliche Diskussionen, auch heute noch. Gut, in den späten 70ern oder frühen 80ern waren die meisten wohl der Ansicht, es sei besser, die dunkle Vergangenheit ruhen zu lassen und die bequeme Ordnung nicht zu stören. Heute sind wir vermutlich eher der Auffassung, dass solche Taten aufgeklärt werden müssen. Darüber lässt sich sicher streiten.

 

Gestritten wurde natürlich auch in den Kommentaren. Darüber, ob Mathieu Carrière extrem unsympathisch ist, oder es nur spielt, vor allem aber darüber, ob die Polizei in einer solchen Situation hätte ermitteln müssen. Viele sahen die Schuld beim Neffen, der den alten Mann nötigte, nach heutiger Rechtslage wohl zum Stalker wurde, ihn also in den Selbstmord trieb. Einige wenige verteidigten seine Absichten und wurden dafür von anderen angefeindet.

 

Ein Kommentar deutete die Folge als moralische Parabel, die besagt, man solle niemanden vorverurteilen. „Tja und doch geschieht es täglich in immer höherem Maßstab“, antwortete jemand anderes darauf, „Ich sage nur, die AfD als Nazis zu beschimpfen, alle, die nicht an den Klimawandel glauben, zu diffamieren, und auch aktuell alle Nicht-Maskenträger an den Pranger zu stellen.“ Uff... that escalated quickly.

 

Noch härter war allerdings die Antwort auf einen Kommentar, der anmerkte, dass die Haltung Derricks heute, nachdem bekannt ist, dass Darsteller Horst Tappert wie auch Drehbuchautor Herbert Reinecker im Zweiten Weltkrieg Soldaten der Waffen-SS gewesen sind, vielleicht mit anderen Augen gesehen werden könne. Wörtlich sprach der Kommentierende von Tapperts „Jugendsünden“. Allein bei diesem Begriff musste ich schlucken, wenn auch aus anderen Gründen als jemand, der zu diesem Kommentar eine Antwort verfasste. „Jugendsünden? War doch keine Sünde. Darauf kann und sollte er stolz sein. Oder hat die Propaganda und Umerziehung so gut funktioniert bei Ihnen?“

 

 

Wow, das ist wirklich krass. Klar, kann auch ein Troll sein, doch nach allem, was ich so in den Kommentaren meiner guilty pleasure-Serie gelesen habe, könnte es genauso gut auch ernst gemeint sein. Oder ist es sogar der Grund dafür, dass einige diese Serie heute derart in den Himmel loben? Dieses ganze „Früher war alles besser“ ist vielleicht gar nicht nur verklärte Nostalgie. In Verbindung mit der auffallend harsch geäußerten Kritik an der links-grün-versifften Regierung und den heutigen links-grün-versifften Medien stell ich mir als links-grün-versiffter Journalist inzwischen die Frage, ob Horst Tappert dank seiner „Jugendsünden“ für einige Ewiggestrige nicht sowas wie ein Held ist, den sie verehren und in seiner Kommissarsrolle deshalb so feiern.

 

Dann wäre Derrick sowas wie der Attila oder der Xavier für Nostalgiker oder wie? Und vielleicht ist es ja gar kein Zufall, dass einige der auffälligsten Kommentierenden auch auf etlichen anderen Kanälen zu finden sind, die für meinen Geschmack guilty, aber definitiv kein pleasure sind. Also ich glaub, ich such mir doch lieber ein anderes Trash-Format oder guck einfach wieder bei so Systemlingen wie Gronkh oder LeFloid rein. Oder bei den ganzen Dashcam-Kanälen, die übrigens auch auf seltsame Weise süchtig machen können... doch das ist ein anderes Thema.