Alarmzeichen und Bullshit-Bingo

Der Anschlag in Halle und das unfassbare Medienecho

 

Der rechte Terroranschlag in Halle hat uns in dieser Woche erschüttert und betroffen gemacht. Dennoch war vieles, was in den Medien zitiert wurde, absolut vorhersehbar. Von einigen wurde natürlich sofort betont, dass es Angriffe auf Synagogen in Deutschland nie mehr hätte geben dürfen und dass nun endlich vehement gegen Rechtsextremismus vorgegangen werden müsse. Soweit richtig. Ebenso wurde der Mörder schnell als Einzeltäter deklariert, was ja auch schon beinahe reflexartig passiert, um Spekulationen vorzugreifen.

 

Dennoch gab es die natürlich. Im Chat zu einem „patriotischen“ Video auf Youtube habe ich mitgelesen, wie sofort vermutet wurde, es handle sich um eine Tat, die den Rechten nur in die Schuhe geschoben werden soll, dass es so kurz vor der Landtagswahl in Thüringen passierte, spreche doch dafür, denn so könnte die AfD am besten diskreditiert werden. Im besagten Chat wurde das natürlich zum Teil noch etwas drastischer ausgedrückt.

 

Der Videomacher und Host betonte zwar, dass er die Tat verurteile, allerdings immer mit dem Nachsatz: so wie er jegliche Gewalt verurteile, auch die von islamistischer oder linker Seite. Warum, frage ich mich, muss man das jedes Mal so plakativ betonen? Im Grunde doch nur, wenn man darauf hinweisen will, dass ja die anderen auch schlimm sind und um die Morde damit zu relativieren, oder nicht?

 

 

In den sozialen Medien passierte dann meiner Meinung nach genau das. Auf Twitter antwortete ich beispielsweise auf den Tweet eines jungen Mannes, der sinngemäß schrieb, er hoffe, der Rechtsextremismus werde nun nicht wieder verharmlost, indem Leute wieder schreiben, die Linken seien genauso doof. Er jedenfalls habe noch keinen Linken in Kampfmontur auf offener Straße schießen sehen. In meinem Kommentar gab ich mich zynisch und vermutete, wir könnten doch leider wieder Bullshit-Bingo spielen und es sei nur eine Frage der Zeit bis genau das Argument mit den Linken komme. Es dauerte nur wenige Stunden, dann postete jemand anderes darunter: „Bei jeder Straftat eines Flüchtlings können wir aber auch Linken-Bullshit-Bingo spielen.“

 

Viel schlimmer als das finde ich allerdings, wenn die Bundesvorsitzende einer großen Regierungspartei dann öffentlich sagt, dieser Anschlag sei ein „Alarmzeichen“ und wenn in etablierten Fernsehsendungen darüber diskutiert wird, ob eventuell Killerspiele eine Ursache für die Radikalisierung des Täters sein könnten. Nein, liebe Annegret, das ist kein „Alarmzeichen“, das ist Ausdruck des Versagens eines Staates, der die Gefahr des Rechtsextremismus seit Jahren und Jahrzehnten systematisch kleinredet. Und es hat auch nichts mit Videospielen zu tun, die ebenso verbreitet sind wie Krimis im Fernsehen oder Bogenschießen im Sportunterricht der zehnten Klasse in der Schule. Was diese Menschen radikalisiert ist eine rassistische Ideologie.

 

Klar, jeder Fundamentalismus kann in Extremismus umschlagen und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt vom Denken zum Handeln. Das gilt für Religionen, für Linke, aber eben auch genauso für Rechte. Gegen all das sollten Polizei und andere Behörden vorgehen. Allerdings sprechen die Fakten nun einmal eine recht deutliche Sprache. Da gibt es Islamisten, die Attentate verüben. Daher gehören sie eingesperrt. Da gibt es Linke, die Autos anzünden. Auch sie gehören bestraft.

 

 

Aber die meisten extremistischen bzw. politisch motivierten Straftaten begehen eindeutig Rechte. Das belegt jede Polizeistatistik und die Amadeu-Antonio-Stiftung listet Fall für Fall und namentlich 198 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 auf. Darunter die beiden jüngsten Opfer der Anschläge von Halle oder der ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke.

 

All diese Menschen wurden von Einzeltätern patriotischer oder völkischer Gesinnung ermordet, von sogenannten Reichsbürgern, von der Terrorvereinigung NSU, die ja angeblich auch nur als Trio agierte. Und all das soll bloß ein „Alarmzeichen“ sein? All das steht in keinerlei Zusammenhang? Nach all diesen Taten haben wir in unserem Staat kein Problem mit rechter Gewalt?

 

Offenbar ja nicht, denn bereits jetzt gibt es in den sozialen Netzwerken Tweets und Posts, die erläutern, dass letztlich Merkels Flüchtlingspolitik an allem Schuld ist. Weil unsere Regierung so viele Fremde ins Land lässt, müssen wir uns nicht wundern, wenn manche Bürger eben nicht nur besorgt reagieren, sondern auch zur Tat schreiten. Sorry, differenzierte kann ich die Gedankengänge hier nicht ausdrücken, weil ich sie nun mal absolut nicht nachvollziehen kann.

 

An dieser Stelle kann ich nur noch sagen, wie unfassbar ich all das finde, wie sehr es mich entsetzt. Mehr denn je bin ich froh, dass es D. und seine Familie hierher in den verschlafenen Harz gezogen hat, weil ich hier zum Glück überwiegend Leute kenne, die all das ebenso wenig nachvollziehen können. Und ich bin auch nach wie vor überzeugt, dass es der überwiegenden Mehrheit in ganz Deutschland so geht. Aber damit das so bleibt, dürfen wir die Argumentationen der Rechten nicht stillschweigend hinnehmen oder ihnen mediale Plattformen bieten. Denn eine Ideologie des Hasses erzeugt letztlich hasserfüllte Taten.