Und plötzlich wird alles anders

Mama war da - Teil 1

 

Etwa eine Woche lang waren wir nicht bei D., haben nicht mal telefoniert und auch sonst nichts von ihm und der Familie gehört. Als Rainer und ich jetzt vor der Tür stehen, haben wir schon ein etwas schlechtes Gewissen. Freundschaften müssen gepflegt werden, sagen wir uns, andererseits wollen wir uns auch nicht aufdrängen und dann gibt es ja eben auch noch sowas wie unser eigenes Leben. Außerdem läuft ja im Moment eigentlich alles ganz gut, also von der Wohnungssuche und dem Streit mit dem Vermieter mal abgesehen.

 

Im Wohnzimmer überzeugen uns D. und F. dann aber davon, dass eben doch nicht alles von selbst in die richtigen Bahnen läuft. „Meine frühere Frau war da“, erzählt er uns, „sie wollte ihre Kinder sehen.“ Das sitzt. Unfähig, die Situation zu erfassen oder nachzuhaken sitzen wir beide erst einmal da und starren ihn an.

 

Immer wieder habe seine Ex ihn angerufen, erzählt er dann, habe sich nach den Kindern erkundigt und wollte schließlich seine Adresse wissen, um ihn zu besuchen. Natürlich hat D. irgendwann nachgegeben, nicht nur, weil es in seiner Natur liegt, sondern auch, weil er genau weiß, dass er den Kindern ihre Mutter und der Mutter ihre Kinder nicht vorenthalten darf. Das ist vermutlich überall auf der Welt so.

 

 

Mein Seitenblick geht sofort in F.s Richtung und ich stelle fest, dass sie verunsichert wirkt. Kein Wunder. Immerhin bahnt sich hier gerade etwas an, was ihr gesamtes Leben umkrempeln könnte. Schon wieder. Und ebenso das Leben der Kinder. Dabei haben die gerade mit Kindergarten, Schule, neuen Freunden, besseren Deutschkenntnissen als F. und D. gerade wieder eine gewisse Sicherheit im Leben.

 

Die drei sind übrigens schon im Bett, angeblich ziemlich müde vom auch für sie ereignisreichen Wochenende. Trotzdem wollen wir natürlich wissen, wie sie auf ihre leibliche Mutter reagiert haben. „Also S. und A. waren erstmal schüchtern und M. wusste gar nicht, wer diese Frau ist“, erzählt D. Auch das wundert mich nicht, schließlich hat ihre Mutter die Kinder damals im Irak verlassen, bevor sie überhaupt begreifen konnten, was das bedeutet. Dazu dann etliche Erlebnisse der Flucht, die selbst ich mir nicht ausmalen kann, also eigentlich kann wohl niemand so genau sagen, wie eine Kinderseele das alles verarbeitet.

 

Am Ende des Tages sei wohl aber alles harmonisch gewesen und sie hätten sich alle gut verstanden. Ein erneuter Seitenblick auf F. sagt mir, dass auch dazu viel Selbstbeherrschung notwendig war. „Was hätte ich denn machen sollen?“, fragt D. schließlich und weder Rainer noch ich können ihm darauf eine Antwort geben. Vermutlich hätte ich mich ebenso verhalten, auch wenn all das jetzt natürlich sehr viele Fragen aufwirft.

 

 

F. und D. wissen nicht, was nun wird, die Kinder hätten relativ normal reagiert als ihre Mutter dann wieder gefahren ist, doch uns allen ist klar, dass dieser Besuch erst ein Anfang war. Ein Anfang einer vermutlich verzwickten Geschichte, die von verschiedensten Emotionen, aber letztlich eben auch von deutschen Gesetzen geprägt sein wird.

 

Ist den Behörden eigentlich klar, dass F. nicht die leibliche Mutter ist? Immerhin tragen die Kinder nach arabischer Sitte den Nachnamen des Vaters. Kann es vielleicht sein, dass F. bei der Einreise einfach als leibliche Mutter registriert wurde? Und wenn ja, was bedeutet das rechtlich? Noch spannender finde ich allerdings die Frage, was die gesamte Situation moralisch bedeutet. Gut, laut D. hat seine damalige Frau ihn über Nacht und ohne Erklärung verlassen und ist geflüchtet. Wohin, das wusste er nicht, schließlich hat sie sich erst wieder bei ihm gemeldet als auch sie schließlich nach Deutschland kam.

 

Auf jeden Fall wird sie ihre Kinder sehen wollen. Und auf keinen Fall können und dürfen wir das komplett unterbinden. Das ist uns allen in diesem Moment klar. Alles andere jedoch ist gerade noch vollkommen offen. Allerdings kann sich all das, was wir in den letzten Monaten aufgebaut haben, jetzt vollkommen auf den Kopf gestellt werden. Daher schwebt nun eine diffuse Angst im Raum, eine Unsicherheit und leider auch das Wissen, dass nicht wir es sind, die über die nächsten Schritte entscheiden.

 

Fortsetzung folgt...