Wir hätten lieber einen König

Beständigkeit statt Veränderung - Teil 2

 

Wenn ich mit D. über Syrien oder über den Islam rede, dann bestärkt er mich noch in meiner Meinung. Diese Freiheit, die er und seine Familie hier kennenlernen, gab es in seiner Heimat nicht. Gerade als Kurde durfte er nicht einmal sein eigenes Leben voll und ganz bestimmen, geschweige denn irgendetwas darüber hinaus. „Hier sind alle Menschen gleich“, sagt er manchmal voller Bewunderung, „und hier darf sich jeder frei entscheiden.“

 

Doch mir scheint als sei uns dieses riesengroße Glück manchmal nicht mehr bewusst. Natürlich gibt es Grenzen der persönlichen Freiheit und ich glaube auch nicht, dass es gut wäre, wenn immer nur die Masse über alles entscheidet. Manches gehört nun einmal in die Verantwortung von Fachleuten. Aber in den Bereichen, in denen wir Weichen stellen können und dürfen, sollten wir es da nicht auch tun?

 

Der Kabarettist Volker Pispers behauptete in seinen Programmen immer wieder, der Deutsche wolle eigentlich gar keine Demokratie. Ein nicht unerheblicher Prozentsatz der Bevölkerung hätte viel lieber eine Monarchie, in der ein gütiger König uns die Bürde der Entscheidungsfindung abnimmt. Das sei übrigens auch der Grund, warum Angela Merkel seit Jahren immer wieder gewählt wird, auch wenn sie keinerlei politischen Standpunkt hat.

 

 

Die Beständigkeit ist uns Deutschen anscheinen viel wichtiger als die Veränderung. Das mag an einem relativ hohen Lebensstandart liegen, muss wohl aber auch eine besondere Mentalität sein, die Neues erst einmal generell fürchtet. Und selbst in den Kirchengemeinden sind viele wohl der Ansicht, dass am besten alles so bleiben soll, wie es ist – ungeachtet schwindender Mitgliederzahlen und leerer Gottesdienste. Es gibt ja auch diesem blöden Spruch, dass es in Deutschland keine Revolution geben könne, weil wir dafür unerlaubt abgesperrte Rasenflächen betreten müssten.

 

Auch das ist übrigens ein Punkt, den wir F., D. und den Kindern erst einmal beibringen mussten. Obwohl es im Stadtpark tolle gepflegte Rasenflächen gibt, dürfen wir dort nicht einfach ein Picknick machen, Fußballspielen oder sonstwas. In der arabischen Welt sei das anders, dort treffen sich Menschen einfach dort, wo Platz ist und wo es schön ist. Wir hingegen haben viel mehr Rechte, halten uns aber auch unglaublich gerne an Regeln, ob unsinnig oder nicht. „Der Sabbat ist für den Menschen gemacht und nicht der Mensch für den Sabbat“, heißt es schon in der Bibel. Aber woher sollen wir das auch wissen, wenn uns die Kirche so egal ist wie es bei dieser Wahl den Anschein machte?

 

Manchmal frage ich mich, was wohl wäre, wenn wir in unserem Land unzumutbare Zustände hätten. Was müsste passieren, damit wir uns wirklich gegen eine Regierung auflehnen? Und damit meine ich nicht den dämlichen „Wir sind das Volk“-Protest der sogenannten Wutbürger. Ich meine keinen destruktiven Nationalismus, sondern eine wirkliche progressive Revolution. Kein hasserfüllter Schritt zurück, der letztlich auch wieder nur darauf abzielt. Beständigkeit als höchstes Gut zu verkaufen, sondern den Mut zu wirklicher Veränderung, wenn der Karren in den Dreck gefahren ist.

 

 

Etwas, was mit dem arabischen Frühling vergleichbar ist, kann ich mir in unseren Breiten leider echt nicht vorstellen. Schließlich gingen auch die großen Umbrüche in der Vergangenheit bei uns selten vom Volk aus. Vom Mauerfall und der Wende vielleicht einmal abgesehen. Da haben Deutsche tatsächlich einmal eine friedliche Revolution in Gang gebracht, die auch nachhaltig ein System verändert hat. Aber das waren eben auch nicht die satten Wohlstandsdeutschen, sondern die anderen.

 

Geht es uns vielleicht wirklich noch zu gut, dass wir uns Sorgen über ein paar Flüchtlinge machen, die angeblich unser Sozialsystem unterwandern und zerstören, statt uns den globalen Problemen wie dem Klimawandel oder der sozialen Ungerechtigkeit zu widmen? Oder sind wir einfach zu bequem, um zumindest zu versuchen, herannahende Katastrophen für die nachfolgenden Generationen noch abzuwenden und mummeln uns lieber in unsere altbekannte Angst vor dem Fremden und vor der Veränderung ein?

 

Vielleicht ist es weit hergeholt, dass mich eine Kirchenvorstandswahl auf solche Gedanken bringt, aber je mehr ich durch D. und seine Familie mitbekomme, worauf es ankommt, wenn man nichts mehr hat und alles neu aufbauen muss, desto häufiger packt mich die Wut. Die Wut auf die Bequemlichkeit in diesem Land, die sich in einer endlosen Schleife aus Pessimismus und Meckerei äußert, und auch die Wut auf mich selbst, dass es mir nicht gelingt, mit meinem Texten Menschen wachzurütteln oder aber auch nur all das verständlich auszudrücken, was mir eigentlich durch den Kopf geht.