Essen bis zum Umfallen

Lass dich überraschen - Teil 2

 

Bis Montag ruft D. mich noch mehrfach an. „Was sollen wir Rainer denn schenken?“, fragt er einmal. „Ihr müsst ihm gar nichts schenken. Wenn ihr Essen macht und auch noch eine Überraschungsparty schmeißt, dann braucht ihr doch kein Geschenk mehr“, antworte ich. „Aber bei euch macht man das doch so, dass man sich auch noch etwas kauft“, entgegnet er. „Aber nicht, wenn man gleichzeitig der Eventmanager ist. Dann hat man nämlich ohnehin über seine Verhältnisse Geld für Essen und vor allem Süßigkeiten ausgegeben.“ Damit gibt er sich zum Glück zufrieden.

 

Der letzte Anruf kommt dann am Montagnachmittag. Ob ich vielleicht etwas früher da sein kann. Klar kann ich, wenn sie noch Hilfe brauchen, sowieso. Nein, Hilfe nicht, ich soll ihm nur kurz vorher sagen, welche Musik er anmachen soll. Sein arabischer Musikgeschmack trifft zwar meinen, wie er weiß, aber eben Rainers nicht so wirklich. Ob mein Musikgeschmack Rainers immer hundertprozentig trifft, lasse ich mal dahingestellt. Zum Geburtstag habe ich jetzt eine CD mit Irish Folk Songs gefunden, aber ansonsten geht das bei uns doch schon ziemlich auseinander.

 

Allerdings will ich D. auch nicht sagen, dass die Musik gar nicht so wichtig ist. So akribisch, wie er den Abend vorbereitet und bei der langen Zeit, die F. in der Küche verbringt, könnte das abwertend klingen. Also bin ich dann eine halbe Stunde früher da und durchstöbere YouTube nach einer halbwegs erträglichen Version eines Geburtstagsliedes. Dass es eine 24-Stunden-Endlosschleife von Happy Birthday gibt, wusste ich noch nicht, allerdings wundert es mich auch nicht. Dass es so schwer wird, ein Video zu finden, das einigermaßen dezent im Hintergrund laufen kann, dann schon.

 

Schließlich finde ich dann doch noch eine Version von „Wie schön, dass du geboren bist“ und verpflichte die Kinder, mitzusingen, wenn Rainer reinkommt. S. ist sofort begeistert. „Das singen wir in der Schule auch immer und ich kann den ganzen Text“, strahlt sie. M. kann den Text natürlich erst recht, behauptet er, um mit seiner großen Schwester mitzuhalten und A. hält sich wie meistens zurück.

 

 

Wenige Minuten später stürmt dann F. ins Zimmer. Rainers Auto ist gerade vorgefahren. Schnell zündet sie also noch die Kerzen auf der großen und ziemlich bunten Torte an, macht das Licht aus, dann hören wir auch schon die Schritte auf der Treppe. Das Partyfieber, in das D. F. und die Kinder sich hineingesteigert haben, hat mich mittlerweile auch ergriffen, muss ich zugeben. Vor allem rührt mich die Energie, mit der sie alles perfekt machen wollen.

 

Rainer öffnet die Tür, D. startet das YouTube-Video und wir fangen an zu singen. S. ausgesprochen laut und deutlich für eine Erstklässlerin, M. singt auch, aber ich bin mich nicht ganz sicher, welches Lied, und A. kann auch ohne vorherige Ankündigung gut mithalten und wächst meiner Meinung nach gerade ein wenig über sich hinaus. Rainer tut angemessen überrascht, doch die Rührung in seinem Blick ist alles andere als gespielt.

 

Zum Glück nötigt F. ihn, die Kerzen auszupusten und die Torte anzuschneiden, bevor es auch mich ergreift. Auch wenn wir nur in einem kleinen mit günstigsten Möbeln ausgestatteten Wohnzimmer sitzen, haben D. und F. es geschafft, diesen Geburtstag wirklich zu zelebrieren. Ich weiß, es ist ihre Art, danke zu sagen, sie wollen nicht immer nur diejenigen sein, die Hilfe annehmen, sondern auch mal uns zum Staunen bringen. Und das schaffen sie. Mit Herzlichkeit, mit Enthusiasmus und mit ansteckender Fröhlichkeit.

 

Natürlich gibt es wenig später viel zu viel Essen. Hühnerbeine – weil Rainer die über alles liebt – mit Reis und Kartoffeln und Salat und danach eben Torte und Kuchen und Kekse und und und. Es sei eine russische Torte, erklärt D. als ich das ziemlich künstlich gefärbte Stück auf meinem Teller zunächst ein wenig skeptisch betrachte. Die deutschen Torten seien so mächtig, meint er. Nach all dem Essen, das gut und gerne auch für Rainers und meine gesamte Verwandtschaft gereicht hätte, kann ich nur noch ergeben nicken.

 

 

Die Kinder sind natürlich schnell mit essen fertig und machen sich dann über die Luftballons her, mit denen F. das Zimmer geschmückt hat. Luftballontennis gehört zu den Geburtstagsfeiern unbedingt dazu. Bis auch der letzte Ballon geplatzt ist. Das dauert dank M.s Übereifer meist zum Glück nicht zu lange.

 

Von der Form her fühle ich mich dem Ballon jetzt nicht unähnlich, nur habe ich keinesfalls das Gefühl, leicht umher zu schweben. Trotzdem kann ich die Kinder nicht enttäuschen und spiele natürlich mit. F. und D. auch, und das sogar mit viel Spaß an der Sache. Weil es heute mal nicht um die Neubeantragung des subsidiären Asyls oder um die Verlängerung von Hartz IV oder andere typisch deutsche Dinge geht. Sondern weil wir einfach mal die Freundschaft genießen, die sich in den letzten Monaten entwickelt hat und die wir alle nicht mehr missen möchten.

 

„Weißt du, was ich gerade denke“, sagt Rainer als wir nach einer ganzen Weile die Tür hinter uns zuziehen und zu unseren Autos gehen. „Was denn?“ „Dass wir eigentlich doch schon eine Menge geschafft haben. Die Kinder können auf deutsch Geburtstagslieder singen und D. und F. wissen schon in ziemlich vielen Dingen, wie Deutschland funktioniert.“ Lächelnd nicke ich. Und umgekehrt habe auch ich in dieser Zeit schon vieles erlebt, was mich ungemein bereichert hat.