Gefangen in der Fake-News-Blase

Rettet unsere Demokratie - Teil 2

 

Gerade in Deutschland bestehe das Problem, dass uns die Demokratie „geschenkt“ wurde, meint Henze weiter, „daher sind wir zwar gute, aber keine kämpferischen Demokraten geworden.“ Genau aus diesem Grund treibt ihn seit langem die Frage um, wie wir sie in einer Krise stärken wollen. Laut Umfragen würde sich ein nicht kleiner Teil der Bevölkerung statt des jetzigen Mehrparteiensystems eine einzige Partei wünschen, die den Volkswillen repräsentiert.

 

Auch das glaube ich selbst zu beobachten. Wenn viele hier über unsere Politik, den Staat oder was auch immer meckern, dann habe ich nicht selten das Gefühl, sie können kaum richtig unterscheiden, an wen sie ihre Wut adressieren müssen. Oft haben sie schlicht zu wenig Ahnung von Zusammenhängen und Zuständigkeiten. „Der Bürgermeister muss doch mal dafür sorgen, dass die jungen Leute hier nicht alle wegziehen“, höre ich häufig. Bloß kann eben der Bürgermeister wenig daran ändern, dass die Chancen in einer ländlichen Region eben nicht so rosig sind.

 

Ebenso groß scheint mir die Verwirrung auf höherer Ebene. Unsere Politiker können nun mal nicht dafür sorgen, dass morgen die Sonne scheint. Aber genau das fordern leider viele und ich habe dann wirklich den Eindruck, dass sie weniger Ahnung haben als D., der fleißig seine staatskundlichen Fragen büffelt. Vielen Deutschen würde es wahrscheinlich nicht schaden, wenn sie mal gezwungen wären, einem Flüchtling unser Deutschland zu erklären.

 

 

„Demokratie ist Streit“, sagt Henze weiter, sie lebt von der Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen und von einer Diskussionskultur. Gerade die Teilhabe zeige sich in kleineren Städten besonders, wo ohne Vereine, Kirchen und andere Akteure ein gesellschaftliches Leben nicht stattfinden kann. Was die Auseinandersetzungen angeht, fordert er: „Wir brauchen eine andere Streitkultur. Jeder diskutiert doch nur noch im eigenen Saft.“

 

Insbesondere in den sozialen Netzwerken zeige sich, dass sich Überzeugungen und Fake News rasant verbreiten, weil die meisten von uns sozusagen in einer Blase leben und nur noch Nachrichten aus eben dieser wahrnehmen. Jeder hat seine eigenen Informationsquellen, was oft dazu führt, dass wir uns auch unsere eigenen Fakten zurechtlegen. „Die USA machen es uns vor“, sagt Henze, was einige Zuhörer und auch mich mit dem Kopf nicken lässt und für den Moment davon befreit die eigene Mediennutzung zu reflektieren.

 

Aber ist es bei mir nicht auch so? Seit ich mit Rainer beschlossen habe, dass wir uns um eine Flüchtlingsfamilie kümmern, haben wir Kontakt zu anderen Ehrenamtlichen, zu Institutionen, die helfen, und zu den Nachbarn mit eigenem Migrationshintergrund. Ist das nicht in gewisser Weise auch eine Blase? Zumindest bekomme ich meine Informationen fast ausschließlich von Flüchtlingen und jenen, die alltäglich mit Flüchtlingen zu tun haben.

 

Andererseits habe ich nicht das Gefühl, dass ich gewisse Teile der Realität ausblende. Berichte über Anschläge, zu denen sich der IS bekennt, sehe ich mir in den Nachrichten nach wie vor an, manchmal sogar gemeinsam mit D. und F., die ja im übrigen ebenso entsetzt über solch unfassbare Taten sind wie ich. Auch fundamental-islamische Strömungen in der Welt und auch bei uns sehe ich nach wie vor als gefährlich an. Nur weigere ich mich eben, diese Bedrohungen zu verallgemeinern und auf ganze Volksgruppen zu projizieren.

 

 

Jedenfalls bilde ich mir ein, mich offen zu informieren, ehrlich gesagt sogar mit weiterem Horizont als früher, weil ich durch D. und seine Familie einen weiteren Blickwinkel kennengelernt habe. In den Blasen, die Arnd Henze anspricht, sind die Blickwinkel sehr eingeschränkt, bewusst oder unbewusst, und die Leute verweigern sich allem, was ihren Vorurteilen widerspricht. Weil es nun einmal leichter ist, die Welt in Schwarz und Weiß einzuteilen und damit für alles schnell Sündenböcke zu finden.

 

Um dem vorzubeugen müssen wir auf breiter Basis und eben auch inhaltlich diskutieren, fordert Henze für einen Journalisten nicht überraschend, Themen konkret anpacken und nicht ideologisch. Und das wiederum dürfe angesichts der globalisierten Welt nicht nur innerhalb nationaler Grenzen passieren, sondern auf europäischer Ebene. Auch in diesem Punkt kann ich ihm nur zustimmen, denn unsere Welt ist auf der einen Seite viel zu komplex und auf der anderen viel zu global geworden um die großen Probleme nur innerhalb nationaler Grenzen zu betrachten. Wenn vieles auf die Kluft zwischen Arm und Reich zurückzuführen ist, dann hat das mit einzelnen Staaten wenig zu tun.

 

Laut Arnd Henze ist es das Projekt Europa, das uns Sicherheit garantiert, weil es auf der Basis gemeinsamer demokratischer Grundsätze errichtet wurde. „Die Frage von Europa ist eine Frage von Krieg und Frieden“, spitzt er seine Ansicht zu, Europa schütze uns vor den Alternativen aus Moskau, Peking und vielleicht auch Washington. Ganz bestimmt auch Washington, füge ich für mich hinzu, denn gerade dort ist das Denken in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse noch weit verbreitet. Dabei würde es unserer Welt so viel besser gehen, wenn die Kategorien Freund und Feind keine so große Rolle mehr spielen und wir endlich begreifen würden, dass wir letztlich alle in derselben Blase sitzen und diese entweder zum Schweben oder zum Untergehen bringen können.