Wir alle stehen hinter dir

Der Ernst des Lebens beginnt - Teil 2

 

Dann ist er endlich da, der große Tag. Monika hat für S. eine Schultüte gebastelt, die Rainer am Wochenende zuvor mitgebracht hat und die wir nun randvoll mit Süßigkeiten, Spielzeug und auch ein paar nützlichen Dingen stopfen. F. und D. sind ohnehin aufgeregt genug, so dass wir uns dieses Ritual nicht haben nehmen lassen. Für A. und M. haben wir natürlich auch Kleinigkeiten besorgt, weil ich glaube, dass es ungerecht ist, wenn die beiden ihrer großen Schwester bei ihrer Einschulung nur zusehen müssten.

 

Noch vor ein paar Tagen habe ich mich mit D. darüber unterhalten, doch so ganz kann er den Rummel um die Einschulung nicht nachvollziehen. In Syrien sei es kein solch großes Fest für die ganze Familie, wie er es hier jetzt miterlebt. Zudem würden die kleineren Geschwister dort lernen zuzusehen, wenn es nicht um sie geht und damit auch lernen, dass sie nicht immer im Mittelpunkt stehen. M. würde das ja sogar gut tun, räume ich ein, denn er schafft es ja immer wieder, uns alle um den Finger zu wickeln und am Ende derjenige zu sein, um den sich alles dreht. Dieses Recht scheint er als einziger Sohn dann aber doch irgendwie zu haben.

 

Damit will ich nicht sagen, dass F. und D. ihn den Mädchen vorziehen, aber es ist schon so, dass er sich manchmal mehr rausnehmen darf als seine Schwestern. Zumindest wird er wesentlich weniger dazu angehalten, auch mal zurückzustecken, und ich glaube, das hat nicht nur damit zu tun, dass er der jüngste und wildeste der drei ist.

 

Egal, heute geht es vor allem um S. und die ist natürlich dementsprechend aufgeregt als sich am frühen Morgen alle Kinder und Eltern in der Kirche treffen. Dort wird von den Kindern der vierten Klasse etwas vorgeführt, es wird gesungen und die Pastorin spricht ein paar Worte. Für mich ist das alles nicht ungewöhnlich, doch schon bald merke ich, wie neu und fremd die Situation für F. und D. ist. Weibliche Geistliche sind meines Wissens in den Religionsgemeinschaften dieser Welt eher die Ausnahme als die Regel. Ein Gottesdienst zur Einschulung vermutlich auch und angesichts eines säkularen Staates mit im Grundgesetz verankerter Religionsfreiheit vermutlich auch nur mit Tradition zu erklären.

 

 

All das scheint D. und F. aber sehr zu gefallen. Den Kindern ebenso. S. ist vorne zwischen den anderen Kindern natürlich aufgeregt, A. sieht mich irgendwann groß an und fragt, ob sie sich weiter nach vorne setzen darf, um besser sehen zu können, und selbst M. ist auffallend ruhig und scheint zu spüren, dass hier etwas gewichtiges passiert. Mich beeindruckt mal wieder, mit welcher Offenheit D. und F. solche für sie fremden Rituale verfolgen und sich bemühen, möglichst viel davon genau zu beobachten und gegebenenfalls mitzumachen. Ob ich das umgekehrt in einer fremden Religionsgemeinschaft ebenso machen würde, weiß ich nicht.

 

Anschließend gehen dann alle rüber in die Schule, wo in der Aula gemeinsam gesungen, getanzt und ein kurzes Theaterstück vorgespielt wird. Alle Stühle sind mit Verwandten restlos belegt und einige von uns müssen an der Seite auf dem Boden sitzen. Mache ich mit A. und M. auch, weil die beiden von weiter hinten ohnehin nichts sehen könnten. Jetzt allerdings muss ich M. immer wieder davon abhalten, auf die Bühne zu stürmen, denn sowohl die sieben Zwerge als auch den mysteriösen Zauberspiegel von Schneewittchens Stiefmutter findet er ungemein interessant.

 

 

Zum Glück ist er nicht der einzige von den Kleineren, die immer mal wieder am Kragen gepackt und zurückgehalten werden müssen. Auch ein anderer Junge rennt immer mal wieder los und kann von seinem Vater nur mühsam eingefangen werden. Der andere ist M.s bester Freund aus dem Kindergarten, erfahre ich später. Warum nur wundert mich das nicht?

 

Den Erstklässlern werden schließlich feierlich ihre Schultüten überreicht, es wird gemeinsam das Schullied gesungen, das besagt, dass die ganze Klasse hinter jedem Einzelnen steht und ihm den Rücken stärkt oder so ähnlich. Anschließend hat S. die erste Schulstunde ihres Lebens, danach werden dann die üblichen Fotos gemacht und allmählich werden die Feiern nach Hause oder in die umliegenden Gasthäuser verlegt. Bei uns fällt das alles etwas kleiner aus, wir packen noch mit S. gemeinsam die Schultüte aus und es gibt ein Stück Kuchen im Kreise der Familie. Ehrlich gesagt war das zu meiner Zeit auch nicht anders und mir gefällt es deutlich besser als eine große, aufgesetzte Familienfeier.

 

Am Ende verabschiede ich mich, weil ich noch arbeiten muss und D. muss noch für seinen Sprachkurs lernen. „Wenn ich dann lesen und schreiben kann, können wir zusammen lernen, Papa“, sagt S. voller Stolz. „Und wenn ich richtig gut Deutsch spreche, dann helfe ich dir bei deiner Arbeit“, fügt D. an mich gewandt hinzu. Auf dem richtigen Weg sind wir jedenfalls.