Mitten aus dem Leben

Rufmord, Mord und Nächstenliebe - Teil 2

 

 F., D. und die Kinder sind mal wieder begeistert vom Leben in Deutschland, von der Freundlichkeit der Menschen hier und ich wiederum bin begeistert, wie einfach manchmal alles sein kann. Mehr Zeit habe ich dadurch trotzdem nicht. Denn direkt nach dem Luther-Fest steht zum einen die Bundestagswahl an, über die ich als Journalist wohl oder übel berichten muss, zum anderen laufen die Planungen für unser Krimifestival jetzt auf Hochtouren und ich habe auch da genug zu schreiben und auch zu lesen.

 

Das tolle am Krimi ist ja, dass er nicht nur spannend sein kann, sondern nicht selten auch politisch und gesellschaftlich relevanter als vieles, was sonst so gedruckt wird. Vor ein paar Jahren beispielsweise hatten wir Zoë Beck zu Gast, die aus ihrem Buch „Schwarzblende“ las. Das Buch beginnt in einem Londoner Park, wo zwei junge Männer mit Macheten einen Passanten ermorden und anschließend die Flagge des Islamischen Staates schwenken. So weit eine reale Begebenheit, aus der Zoë Beck dann allerdings einen äußerst gut recherchierten und die Thematik differenziert betrachtenden Krimi konstruiert.

 

Kameramann Niall, der alles mit dem Handy filmt wird von den Tätern aufgefordert, das Video auf YouTube hochzuladen. Als die beiden später von der Polizei überwältigt werden, landet auch Niall im Gefängnis und bekommt zu spüren, dass allein die Angst vor islamistischem Terror den Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert. Wieder auf freiem Fuß recherchiert er die Beweggründe der Täter, erfährt vieles über misslungene Integration und daraus resultierende Wut und nicht zuletzt auch über politische Kräfte, die genau diese Wut schüren, um ihre Resultate für die eigenen Zwecke zu nutzen.

 

 

 Sowohl das Buch beeindruckte mich damals als auch die Autorin, mit der ich im Interview über ihre Recherchen und ihre Ansichten zum Thema Islamismus, Populismus und Fremdenfeindlichkeit sprach. Und eben diese Zoë Beck sollte in diesem Jahr wieder bei unserem Festival lesen. Während ich ihr neues Buch las, das natürlich ein ganz anderes Thema behandelte, aber ebenso auf gesellschaftliche Probleme Bezug nahm, fiel mir auf, wie sehr ich mich in den letzten Jahren verändert hatte, zumindest was meinen Bezug zu Migranten in unserem Land betraf.

 

Damals hatte ich mit Muslimen wenig zu tun, wusste kaum etwas über den Islam und lehnte bestimmte politische Positionen nur generell ab, weil sie mir menschenfeindlich erschienen. Inzwischen habe ich mich beruflich und eben auch privat sehr viel mehr mit alldem beschäftigt. Da ist zum eine das rein theoretische Wissen, das ich mir angelesen habe, zum anderen sind es aber auch ganz besonders die Gespräche mit D. und seiner Familie, die viel in mir bewirkt haben.

 

Klar, es ist immer noch schwer, einfach so ein Gespräch mit ihm zu führen, denn sobald es über Alltägliches hinausgeht, macht uns die Sprachbarriere immer noch schwer zu schaffen. Doch die wenigen Dinge aus seiner Heimat, seine Fragen zu unserem Land und vor allem seine Gründe, noch einmal neu anzufangen und alle Hoffnung auf das Unbekannte zu setzen, bewegen mich. All das tut er, damit es seinen Kindern einmal besser geht. Damit sie mittelfristig nicht in einem Land aufwachsen müssen, in dem der Terror und der Krieg alles zerstört, und damit sie langfristig nicht als Kurden immer wieder spüren müssen, dass sie sozusagen Menschen zweiter Klasse sind, sondern in einer Gesellschaft leben, von der er nicht viel weiß, aber ganz sicher, dass hier jeder Mensch die gleichen Rechte hat.

 

 

Allein diese große und unerschütterliche Hoffnung macht mir klar, wie gut ich es habe, ausgerechnet in diesem Teil der Welt geboren zu sein. Das ist nichts, was ich mir in irgendeiner Weise erarbeitet oder verdient habe, sondern pures dummes Glück. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr ärgert es mich, dass einige bereit sind, dieses Glück mit allen Mittel zu verteidigen. Sicher, es ist nur menschlich. Aber dennoch sollten wir irgendwann einmal überlegen, ob es nicht vielmehr unsere Pflicht ist, dieses Glück zu teilen und die Welt damit ein Stück besser zu machen.

 

Je häufiger ich solche Gedanken habe, desto naiver kommen sie mir vor. Wenn ich dann aber weiter ganz unvoreingenommen abwäge, dann sind es letztlich genau diese naiven Ansichten, die uns davon abhalten, die Welt zu einer Hölle verkommen zu lassen. Martin Luther hatte seinerzeit den naiven Wunsch, dass nicht eine hierarchische Kirche, sondern allein das Wort Gottes unsere Moral bestimmt. Krimis sind häufig so naiv, dass am Ende der Böse vom Guten besiegt wird. Warum bitte soll das nicht funktionieren?

 

Fortsetzung folgt...