Religiöse Rituale am offenen Feuer

Land des Lächelns - Teil 1

 

Wir sind bei Rainers Bruder zum Grillen eingeladen. Nicht nur wir, sondern auch D. und F. und die Kinder. Nach der Arie mit der Lampe wollten er und seine Frau sich ja schon immer noch mehr einbringen und boten uns immer Hilfe an, wenn wir welche bräuchten. Jetzt aber geht es nicht nur um Hilfe, sondern um echtes Familienleben, und das finde ich schon beeindruckend. Onkel und Tanten mit ihren Kindern werden da sein und eben auch wir, sozusagen ebenfalls als Familie. Mehr Integration geht nicht, vor allem, weil es ja kaum etwas deutscheres gibt als Grillen.

 

Erst nach der ersten Freude fällt uns auf, dass gerade das typisch deutsche für viele fast schon religiöse Züge tragende Ritual des Grillens durchaus kulturelle Unterschiede zutage fördert. „Hast du eigentlich dran gedacht, dass F. und D. kein Schweinefleisch essen?“, fragt mich Rainer unvorbereitet. „Ja, okay, dann besorge ich eben noch Geflügelfleisch...“ Auf die Antwort grinst er nur. „Du weißt aber schon, dass mein Bruder nur einen Grill hat und dass das muslimische Putensteak streng genommen nicht auf dem gleichen Rost wie das deutsche Schweinekotelett zubereitet werden darf?“

 

Mist, daran hab ich natürlich nicht gedacht. Heißt das jetzt, wir müssen einen zweiten Grill kaufen und den neben dem Familiengrill aufbauen? Und hat das dann noch was mit vorbildlicher Integration zu tun? Rainer bezweifelt jedenfalls, dass alle Verwandten das einfach mit einem Lächeln es als ebenso selbstverständlich erachten wie wir. Nach kurzem Grübeln machen wir es wie immer, pfeifen auf politische Korrektheit und erklären D. einfach, dass wir zum Grillen eingeladen sind und dass da nun mal auch Fleisch auf dem Grill landet, das nicht halal ist. Er freut sich so sehr über die Einladung, dass er umgehend meint, es wäre doch überhaupt kein Problem, immerhin seien wir in Deutschland und nicht in Syrien und hier werde eben anders gegrillt als in seiner alten Heimat.

 

 

Es ist nicht das erste Mal, dass ich froh bin, wie gelassen er mit religiösen Vorschriften umgeht. Andererseits kann ich seine Einstellung absolut nachvollziehen, denn auch ich würde mich in einem fremden Land so weit und so gut wie möglich anzupassen versuchen. Eigene Verhaltensweisen aufzugeben, gehört wohl dazu und vielleicht fällt das auch leichter, wenn man merkt, dass andere ebenso große Schritte auf dich zu machen. Bei bestimmten religiösen Überzeugungen wäre für mich trotzdem Schluss und ganz sicher auch bei so manchen kulinarischen Herausforderungen.

 

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf kaufe ich schließlich ein, Putensteaks und Hähnchen-Grillspieße, aber auch Maiskolben und Grillkäse. Man kann ja nie wissen. Zugegeben, ein wenig nervös bin ich ja doch. Zum einen möchte ich, dass sich F., D. und die Kinder herzlich aufgenommen fühlen, ohne dass es krampfig wird, zum anderen möchte ich natürlich auch einen guten Eindruck hinterlassen, im besten Fall eben die Erkenntnis, dass neue Mitbürger eine Bereicherung sind.

 

Letzteres merke ich auch D. und insbesondere F. an als wir schließlich vor Rainers versammelter Verwandtschaft stehen. F. ist nervös und das liegt meiner Meinung nach nicht nur an der Sprache. Sie hat die Kinder immer im Blick, ansonsten aber ist sie äußerst zurückhaltend und scheint noch zu überlegen, wie sie sich wohl verhalten muss bei einem deutschen Grillabend. D. ist etwas freier und hilft gleich mit, ausreichend Stühle um den Gartentisch zu stellen. Am leichtesten fällt es natürlich den Kindern. Die Mädchen laufen sofort mit den etwas älteren Töchtern von Rainers Cousin oder so herum und M. immer hinterher.

 

 

Zwischendurch fällt mir auf, dass auch ich außer Rainers Bruder und dessen Frau niemanden so richtig kenne, nicht weiß, wie sie ticken oder über was wir uns heute unterhalten könnten. Allerdings habe ich weder eine sprachliche, noch eine kulturelle Barriere, die es zu überwinden gilt, die einzigen Regeln, die ich mir bei solchen Festen auferlege lauten: keine Politik und vor allem auf keinen Fall keine Tipps zum besseren Grillen!

 

Eigentlich hätte ich D. und F. noch viel deutlicher machen müssen, dass Grillen in Deutschland fast schon einem strengen religiösen Ritual gleicht und dass daran schon Freundschaften und Ehen zerbrochen sind, bloß weil einer dem anderen sagte, er solle eine Aluschale unter das Fleisch legen oder eben nicht. Grillen ist typisch deutsch, die einzige Gelegenheit, bei der sich deutsche Männer freiwillig eine Schürze umbinden – vorzugsweise eine mit witzigem Spruch drauf. Auf jeden Fall aber sollte niemand demjenigen, der am Grill steht, ins Handwerk pfuschen, es sei denn, er möchte selbst mit dem Gesicht voran in der Holzkohle landen.

 

Da F. und D. von alldem aber nichts wissen, halten sie sich ohnehin raus und beobachten gespannt, was der Abend noch bringt. Die Kinder sind inzwischen längst verschwunden, denn auf der Weide neben dem Haus gibt es Pferde und die sind ohnehin viel spannender als wir Erwachsenen. Die Sprachschwierigkeiten gibt es bei unseren drei Süßen ja ohnehin kaum noch, doch gemeinsam vor Tieren auf einer Wiese zu stehen und sie mit einem Büschel Gras in der Hand anzulocken, bedarf sowieso keiner weiteren Worte.

 

Fortsetzung folgt...