Nachbarschaftshilfe groß geschrieben

Unterkunft in der Not - Teil 2

 

Kurz darauf war es dann soweit und unser Landkreis musste eine Unterkunft für wenig später ankommende Flüchtlinge bereitstellen. Nun erfordert es ohnehin nicht eben wenig Aufwand, eine Sporthalle einigermaßen wohnlich zu gestalten. Na gut, wohnlich war nie wirklich ein Kriterium. Aber zumindest sollten etwa 100 Menschen dort übernachten, sich waschen, essen und irgendwie leben können.

 

Als Journalist hatte ich das Glück, dabei sein zu dürfen und diese Verwandlung mit anzusehen und zu dokumentieren. Am frühen Vormittag rückten Kräfte der Feuerwehr, des DRK und des THW an, dazu einige spontane Helfer und natürlich der obligatorische Einsatzstab. Großer Bahnhof nennt man das wohl umgangssprachlich und genau das war es auch. Innerhalb weniger Stunden wurden Bauzäune angeliefert, um die Halle in kleinere Parzellen abzuteilen. Außerdem kam eine Lkw-Ladung mit Feldbetten und Bettzeug, dazu notwendige Hygieneprodukte für jeden einzelnen.

 

Die Helfer machten sich daran, die Bauzäune aufzustellen – doch es muss unbedingt noch Plane besorgt werden, denn um ein Minimum an Intimsphäre zu wahren, wollten die Trennwände doch wenigstens blickdicht sein. Im Fernsehen gibt es immer wieder Sketche, wie jemand am Aufbau eines Liegestuhls verzweifelt – mit Feldbetten ist das nicht anders. Die Hygieneartikel waren da, doch natürlich in riesigen Kartons.

 

 

Einige machten sich umgehend daran, Tüten mit Duschgel, Zahnpasta, Zahnbürste und so weiter für jeden der Ankommenden zu packen. Andere kontaktierten eine Firma, die auf die Schnelle Planen für die Bauzäune liefern konnte, wieder andere organisierten bei einer anderen Firma schnell noch Mülleimer und Handfeger für jede Parzelle, denn alles andere würde nach wenigen Tagen pures Chaos bedeuten. Und wieder andere hatten endlich den Dreh mit den Feldbetten raus und erklärten den Umstehenden, wie diese dann doch aufgebaut werden konnten, ohne dass die bei der leichtesten Berührung wieder zusammenbrachen.

 

Von der Tribüne aus gesehen ging es zu wie in einem Ameisenhaufen, ebenso hektisch, aber auch ebenso wundersam organisiert. Ehrlich gesagt konnte ich an diesem Tag nur staunen, wie gut hier jeder mit jedem zusammenarbeitete und wie effektiv eine solche Aktion wirklich ablaufen kann. Und wenn gar nichts mehr ging, wurde Rat beim Hausmeister eingeholt, der über jede Steckdose, jeden Wasseranschluss und auch sonst über alles in seiner Halle Bescheid wusste und beinahe den Eindruck vermittelte als habe er sowas schon hundertmal gemacht.

 

Am Nachmittag gab es dann im vorderen Viertel eine Art Gemeinschaftsraum mit Tischen, Kaffeemaschine und einer Theke für die tägliche Essensausgabe, dahinter eine freie Fläche, auf der vor allem die Kinder Platz zum spielen haben sollten und wo sogar das DRK noch einen Geräteraum frei hatte, den sie als Kleiderkammer einrichteten. Die hintere Hälfte waren sozusagen die Schlafräume, für die auch über die gesamte Zeit den Helfern nur in dringenden Fällen der Zugang gestattet werden sollte.

 

 

Auch als der Bus mit den ersten Flüchtlingen ankam, durfte ich noch mit dabei sein. Angeblich kam der direkt aus Passau, war also einmal quer durch die Republik gefahren, was man den Aussteigenden leider auch ansehen konnte. Viele von ihnen wirkten extrem eingeschüchtert, verstanden kaum, was mit ihnen passierte. Nur die Kinder waren erst einmal froh, sich endlich wieder bewegen zu können und rannten überall herum. Erstaunlicherweise lief auch das „Einchecken“ völlig problemlos ab und ging deutlich zügiger als ich erwartet hatte.

 

In den nächsten Tagen fragte ich immer mal wieder an, ob ich aus der Halle berichten durfte und ob es Neuigkeiten gab. Immer wieder bekam ich zu hören, wie viele Bürger sich in die bereitliegenden Helferlisten eingetragen hatten. Tatsächlich wuchs hier in diesen Wochen etwas zusammen, es wurden ganz deutlich die Wege für eine Integration geebnet und es entstanden sogar Freundschaften. Schließlich gab es ja einige Monate später als Rainer und ich uns schon längst um „unsere“ Familie kümmerten die große Wiedersehensparty, zu der wir gingen und auf der wir erlebten, wie schön ein ehrliches Miteinander und ein Willkommen aussehen konnte.

 

Das, was ich hier erlebte, die Hilfsbereitschaft und die nachhaltige Kraft, die ein solches Willkommen haben kann, machte mir unglaublich viel Mut. „Als die Kanzlerin vollmundig versprach: „Wir können das schaffen!“, muss sie die Osteroder Hilfskräfte vor Augen gehabt haben“, schrieb ich in einem meiner Pressetexte. Und genau für diese Texte bekam ich irgendwann von einem der Zuständigen beim Landkreis sogar ein Lob, als er nämlich sagte, es seien auch solche Berichte, die Wege ebnen und es Kritikern schwerer machen, haltlose Bedenken in die Welt zu setzen.