Eine Zeitmaschine für Erwachsene

Heaven is a Place on Earth - Teil 2

 

Wir fünf Erwachsenen setzen uns an einen Tisch, holen uns erst einmal Kaffee und freuen uns auf einen entspannten Nachmittag. Der dauert allerdings nicht allzu lange. In einer Ecke gibt es eine Bahn mit Trikes, in die allerdings ein Euro gesteckt werden muss, damit sie fahren. Sowas kennen sie vom Autoscooter auf dem letzten Jahrmarkt und betteln natürlich, dass sie damit fahren dürfen.

 

Nach dem einen oder anderen Euro ermutigen wir sie, doch auch mal die anderen Sachen auszuprobieren, mit eher mäßigem Erfolg. Erst später wird mir klar, dass sie bei vielen Dingen einfach nicht wissen, wie sie es handhaben müssen. Die Rutschen sind ziemlich einfach. Der Bällepool vor allem für M. ein Riesenspaß, vor allem, wenn er drin sitzt, einen Ball nach dem anderen quer durch die Halle wirft und sich freut, wenn Monika und ich hinterherlaufen, um sie wieder einzusammeln. Doch schon beim überdimensionierten Vier gewinnt stehen sie rastlos davor und wissen nicht, wozu man die großen Plastikplättchen in das durchlöcherte Gestell stecken muss. Auch Spielen will eben gelernt sein, stelle ich fest, und was für uns selbstverständlich ist, gibt es vielleicht anderswo einfach nicht.

 

 

So dauert es nicht lange, bis auch wir überall herumklettern, vieles mitmachen, Hilfestellungen geben und immer wieder bewundernd zum Ausdruck bringen, was die Kinder schon alles können. Tatsächlich macht es mir schon bald mehr Spaß als Kaffeetrinken und langsam kommt das innere Kind in mir zum Vorschein. Was hätte ich drum gegeben, wenn es für uns früher ein solches Spielparadies gegeben hätte.

 

Damals tat es allerdings auch der Spielplatz im nahegelegenen Wald mit Rutsche, Schaukel und Wippe. Immerhin gehörten wir ja noch zu jener Generation, die im Sommer den ganzen Tag draußen war, auf Bäume kletterte, auch mal runter fiel, ohne dass es gleich ein Beinbruch war und sich ohne ständige Aufsicht der Eltern oder elektronischer Spielgefährten beschäftigen konnte.

 

Ich glaube, in den Sommerferien bekamen unsere Eltern uns manchmal sechs Wochen lang kaum zu Gesicht und uns reichte diese Freiheit vollkommen aus. Natürlich war es auch toll, abends das große Playmobil-Piratenschiff mit in die Badewanne zu nehmen und danach noch „Wetten Dass“ gucken zu dürfen, doch ich glaube, dass wir tatsächlich eine Generation war, die ihre Spiele noch deutlich mehr aus der eigenen Fantasie heraus entwickelte.

 

Jetzt merke ich, dass die drei bei vielem hier im ersten Moment gar nicht genau wissen, was sie mit den Möglichkeiten anfangen sollen. Das mag daran liegen, dass hallenfüllende Klettergerüste aus buntem und überall gepolsterten Plastik in Syrien eher selten sind, vielleicht aber auch doch an von anderen vorgegebener Fantasie aus dem Kinderfernsehen, die eben einfach keinerlei Kreativität erfordert.

 

 

Nach und nach zeigen wir den Dreien, was sie alles nutzen können und tatsächlich probieren sie mehr und mehr aus. M. ist ganz aufgeregt und will uns unbedingt die Rutsche zeigen, auf die er sich ganz allein hinauf und auch wieder runter getraut hat. D. und ich müssen dann beweisen, das wir uns das auch trauen. Als nächstes fragt S., was das für seltsame Platten mit Netz in der Mitte sind. Rainer leiht dann auch gleich mal Tischtennisschläger aus und weiht sie in die Geheimnisse dieses Sports ein. Wenige Minuten später steht A. vor uns, möchte gerne auf Trampolin, traut sich aber alleine nicht.

 

Mit mehr und mehr Begeisterung machen wir alles mit, haben unseren Kaffee längst vergessen und toben bald schon ebenso ausgelassen wie die Kinder. Als S. mir dann plötzlich zuruft „Der Boden ist Lava!“ merke ich, dass heutige Kinder eben doch ziemlich schnell Fantasie entwickeln, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt. Die Fantasie, sich vorzustellen, wie ich daraufhin mit ihr über die Gerüste klettere, mich durch enge Röhren zwänge und am Ende tatsächlich in einer Röhrenrutsche steckenbleibe, wünsche ich allerdings niemandem.

 

Die Zeit verfliegt an diesem Nachmittag wie im Flug und als wir schließlich zum Aufbruch blasen, meckern die Kinder auch nur ganz kurz darüber. Kaum sitzen wir im Auto, fallen ihnen die Augen zu, so sehr haben sie sich ausgetobt. Uns macht das ebenso glücklich wie ein paar Tage später die Mail vom Paritätischen, in der uns mitgeteilt wird, dass sämtliche Kosten aus dem Spendentopf zurückgezahlt werden. Im ersten Moment erscheint mir das geradezu unfassbar, doch dann muss ich zugeben, dass es kaum bessere Investitionen gibt als in das Glück von Kindern, die sich das nach teils traumatischen Erfahrungen in der alten Heimat und auf der Flucht ganz unabhängig von allen politischen Standpunkten und Konflikten der Erwachsenen einfach verdient haben.