Nur im Notfall

Ärger mit Ärzten - Teil 1

 

F. klagt über Unterleibsschmerzen. Seit drei Tagen hat sie die und es wird nicht besser, sondern schlimmer. „Dann müssen wir mal mit ihr zum Arzt“, stellt Rainer nüchtern fest, „am besten so schnell wie möglich.“ Absolut richtig, nur jetzt am späten Nachmittag ist natürlich kein Arzt mehr zu erreichen. Und morgen? „Ich bin morgen leider den ganzen Tag unterwegs. Kannst du in deiner Mittagspause einen Termin machen?“ „Kann ich schon, aber den direkt morgen wahrzunehmen, schaffe ich auch nicht und dann ist erstmal Wochenende.“

 

Einen festen Hausarzt haben F. und D. noch nicht. Das ist wieder eine dieser Sachen, zu denen wir bis jetzt nicht gekommen sind. War vielleicht doof, das auf die lange Bank zu schieben, aber da weder ie beiden, noch die Kinder bisher krank waren, gingen lauter andere Dinge eben erst einmal vor. Zumindest wissen wir aber, dass wir bei der Ausländerbehörde Behandlungsscheine bekommen, die wir im Fall der Fälle möglichst vor einem Arztbesuch abholen sollen, es ist grundsätzlich aber auch im Nachhinein möglich.

 

Wir sehen uns an, dann F. und schließlich entscheide ich: „Also gut, ich fahre jetzt mit ihr ins Krankenhaus. Da ist auch die Chance am größten, dass jemand Kurdisch oder Arabisch spricht.“ Mir ist schon klar, dass man dort nur im Notfall aufschlagen sollte, aber ich fürchte, manchmal muss man im Leben auch dreist sein, um ans Ziel zu kommen.

 

Unterleibsschmerzen. Frauenprobleme also. Früher in der Schule war das eine beliebte allwöchentliche Ausrede, um nicht am Sportunterricht teilnehmen zu müssen. Im wahren Leben kann es allerdings auch etwas Ernstes sein. Mehr weiß ich dazu nicht und darum halte ich es für angebracht, so schnell wie möglich jemanden zu konsultieren, der sich mit sowas auskennt.

 

 

Wenige Minuten später sitze ich mit F. im Auto und als ich den Motor starte, schleicht sich plötzlich ein Lächeln auf F.s Gesicht. „Bollywood“, sagt sie und deutet aufs Radio. Tatsächlich läuft eine meiner Bollywood-CDs und sie scheint die Songs zu kennen. Bisher habe ich zwar immer wieder erlebt, dass D. und F. auf ihrem Smartphone arabische Musik hören, auf westliche haben sie allerdings kaum reagiert.

 

 Gerade Musik, so dachte ich dann immer, ist etwas, was die Kulturen trennt. Weil mit ihr Emotionen und oft auch kollektive Erinnerungen verbunden sind. Die Hits der 80er, der 90er und das Beste von heute, was bei uns im Radion rauf- und runtergedudelt wird, bedeuten Menschen aus anderen Kulturen eben nichts. Bei mir sind damit meist Erinnerungen an Partys, an romantische Stunden oder an was auch immer verbunden, wodurch diese Songs auch dann noch etwas in mir auslösen, wenn sie mir eigentlich längst zu den Ohren heraushängen müssten.

 

Mit den Songs aus bekannten Bollywoodfilmen scheint dieses Phänomen auch kulturkreisübergreifend zu funktionieren. Sicher bei uns nicht in dem Maße wie mit amerikanischen Popsongs, aber immerhin so, dass sie bei F. und mir Ähnliches auslösen. Ich nehme mir fest vor, mir das zu merken und immer eine Bollywood-CD im Auto zu haben, für den Fall, dass ich sie mal brauche, um die Stimmung aufzuhellen. Noch dazu freut es mich ganz ehrlich, dass ich endlich mal einen Beifahrer habe, der mich nicht schräg von der Seite ansieht und mich bittet, das fürchterliche Gejaule auszumachen. Das ist nämlich die weitaus häufigere Reaktion.

 

 

Am Krankenhaus angekommen melden wir uns am Empfang und ich erkläre nachdrücklicher als ich eigentlich will: „Wir brauchen erstens einen Arzt und zweitens jemanden, der Kurdisch oder Arabisch spricht.“ „Um was geht es denn überhaupt?“, bremst die freundliche Dame mich aus. Okay, sie hat ja Recht. „Wir betreuen eine syrische Familie“, erläutere ich deutlich verbindlicher und deute auf F., „und sie klagt über Unterleibsschmerzen, die seit einigen Tagen schlimmer werden.“

 

Jetzt wendet die Dame sich F. und und fragt: „Was sind denn das genau für Beschwerden, die Sie haben?“ F. versteht die Frage nicht, sieht hilflos zu mir. Ich erläutere, dass F. unsere Sprache noch nicht so gut spricht und wir deshalb hergekommen sind, weil wir dachten, hier sei die Chance am größten, jemanden zu treffen, dem sie all das in ihrer Muttersprache erklären kann. Endlich hat sie die Situation erfasst und tauscht ihre anfängliche Reserviertheit mit Hilfsbereitschaft.

 

Sie klickt im Computer herum und murmelt: „Da muss ich mal sehen, wer heute Dienst hat. Kurdisch und Arabisch, sagten Sie?“ Ich nicke. Nur wenig später hat sie einen Kollegen ausfindig gemacht, ruft ihn an, schildert ihm die Situation und verspricht uns, er sei in fünf Minuten bei uns. Ist er auch tatsächlich, begrüßt mich knapp und wendet sich dann an F. Ich weiß nicht, ob sie Arabisch oder Kurdisch miteinander sprechen, ehrlich gesagt klingt beides für mich noch immer ziemlich gleich. Immer wieder bin ich froh, dass ich mit Englisch und Französisch in der Schule zwei Sprachen gelernt habe, die mit unserer wenigstens verwandt sind. Und vor allem zwei, die dieselbe Schrift benutzen. Denn auch wenn ich die arabische Schrift wunderschön finde, sieht sie für mich immer mehr nach dekorativen Ornamenten aus als nach Buchstaben, Wörtern und Sätzen, die Regeln folgen, die ist irgendwann einmal begreifen könnte.

 

Fortsetzung folgt...