Euphorisierendes ehrenamtliches Engagement

Vom Untergang des Abendlandes - Teil 2

 

„Es wird immer schwieriger, die frei in der Gesellschaft herumwabernden Werte zu begründen“, machte er letztlich auch deutlich, warum die Kirche es heute oft so schwer hat, Menschen zu erreichen. Mich beeindruckten seine Ausführungen und beschäftigten mich noch lange. Wenn ich andere Glaubensrichtungen verdamme, ist es natürlich einfacher, meine eigene als die richtige hinzustellen. Allerdings möchte ich nicht in einer Zeit oder einem Land leben, in der mir die Obrigkeit vorschreibt, woran ich zu glauben habe. Ehrlich gesagt würde ich nicht einmal in einem Staat leben wollen, der allen meine Überzeugungen aufdrückt.

 

So wichtig mir mein christlicher Glaube auch ist, mein Glaube an die persönliche Freiheit ist mindestens ebenso groß. Und ehrlich gesagt denke ich auch, dass das nicht einmal ein Widerspruch ist. Genaugenommen sagt die Bibel ziemlich klar, dass Gott uns als freie Menschen geschaffen hat, die wir immer zwischen richtig und falsch, zwischen gut und böse wählen können. Das gilt im Großen wie im Kleinen und ist meiner Meinung nach letztlich das, was uns ausmacht.

 

 

Trotzdem oder gerade deshalb schätze ich auch, dass mein Glaube mir Orientierung gibt und mir eine Ethik vorgibt, mit der es sich gut leben lässt. Ein wichtiger Aspekt darin ist für mich wie gesagt die Nächstenliebe. Genau deshalb machte es mich froh und vielleicht sogar ein wenig stolz, dass unser Kirchenkreis in der Flüchtlingsdebatte schon ziemlich früh Farbe bekannte. Damals war es nicht nur der Superintendent, sondern auch noch einige andere, die ganz klar feststellten: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, heißt es in der Bibel, damit ist eigentlich alles zu diesem Thema gesagt.“

 

Das galt ja nicht nur für unseren Kirchenkreis, sondern für die gesamte Landeskirche. Als plötzlich alle Medien darüber berichteten, dass unser Landesbischof Flüchtlinge bei sich aufgenommen hatte, beeindruckte mich das sehr. Nicht, weil ich an der Einstellung der Kirche zweifelte, sondern weil ich sie im Hinblick auf die deutliche Zurückhaltung im Dritten Reich als feiger eingeschätzt hatte.

 

Umso mehr freut es mich im Moment, wenn sie Stellung zu gesellschaftlichen Fragen bezieht und sich nicht heraushält. Vor allem freut mich aber, dass die Verkündung der Standpunkte nicht nur dem Landesbischof überlassen wird, sondern dass sich eben auch die Pastoren hier zu Wort meldeten und das mitunter eben so eindringlich wie unser Superintendent auf diesem Neujahrsempfang.

 

Durch die Orientierungslosigkeit, führte er übrigens weiter aus, sind heute viel weniger ethische Systeme der Maßstab allen Handelns, sondern oft fast ausschließlich persönliche Bedürfnisse. Auch damit liegt er meiner Meinung nach nicht so falsch, zumindest habe ich das Gefühl, dass viele Leute heute und wahrscheinlich gerade die sogenannten Verfechter des christlichen Abendlandes mit Kants kategorischem Imperativ nichts mehr anzufangen wissen.

 

 

Wer das christliche Abendland retten wolle, müsse es ganz sicher nicht vor dem Islam retten, sagte er und wenn ich es richtig deute, verkniff er sich dabei nur mühsam einen Seitenhieb auf polarisierende Medien oder populistische Politiker. Die Überlegung, ob es überhaupt gut sei, dieses untergegangene Abendland der Verschmelzung von Staat und Kirche zu retten, äußerte er dagegen laut. All das mögen keine gänzlich neuen Ansichten sein, mir tat es aber gut, sie von einem Mann der Kirche einmal so differenziert in einen Kontext gestellt zu bekommen.

 

Die Lust werde zum Indikator für ein erfülltes Leben, meinte er, also ein rein subjektives und sogar von der momentanen Situation abhängiges Empfinden. Alles andere macht ja auch keinen Sinn, wenn das Vertrauen in jegliche moralische Instanz erschüttert ist. Das Handeln wird also nicht mehr nach moralisch richtig oder falsch bestimmt, sondern allein dadurch, ob es das persönliche Glück vermehrt. „Doch Glück entsteht nicht allein durch Lust“, schloss er und fügte augenzwinkernd hinzu, „deshalb macht ehrenamtliches Engagement oft glücklicher als eine heiße Nacht.“

 

Was das angeht, muss ich ihm absolut Recht geben. Bevor ich mich jetzt allerdings darüber auslasse, wieviel deutlicher mir manche Glücksmomente mit D., F. und den Kindern in Erinnerung geblieben sind als so mancher Sex, sollte ich dieses Kapitel wohl lieber beenden. Allerdings nicht, ohne an dieser Stelle einmal zu betonen, wie froh ich bin, dass ich evangelisch bin und dass unsere Geistlichen einen solchen Vergleich überhaupt ziehen können.