Pointierte pastorale Provokation

Vom Untergang des Abendlandes - Teil 1

 

Wenn ich bekenne, dass ich Christ bin, bekomme ich von anderen oft zu hören, welche Schuld die Christen bei den Kreuzzügen, der Eroberung Südamerikas und so weiter auf sich geladen haben. Der Hinweis, dass es dabei ja nicht um den Glauben an sich, sondern um Machtansprüche der katholischen Kirche oder weltlicher Herrscher ging, trifft meist auf taube Ohren. Eigentlich ganz genau wie in vielen Diskussionen über islamischen Fundamentalismus, wenn jemand verzweifelt klarzustellen versucht, es seien ja nicht alle Muslime so drauf.

 

Wahrscheinlich hat sich jede Religion und überhaupt jede Ideologie mit ihren negativen Auswüchsen herumzuärgern, weil wir Menschen es nun einmal beherrschen, tatsächlich alles ins Negative verdrehen zu können. Da wird dann ein Glaube, der grundsätzlich auf Nächstenliebe und durchaus nützlichen Moralvorstellungen beruht, dann missbraucht, um Kriege zu führen und sich über Andersdenkende zu erheben. Das war schon immer so und wird vermutlich auch immer so sein.

 

Deutlich bewusst wurde mir das bei einem Neujahrsempfang der Kirche, bei dem es thematisch um das christliche Abendland ging. Ein Pastor im Ruhestand zeigte dabei sehr pointiert auf, wie Europa überhaupt zum christlichen Abendland wurde, nämlich durch nichts anderes als durch das Schwert. Die jeweiligen Landesherren bestimmten, welches die richtige Religion war und natürlich konnte das zwischen Christen, Juden und Muslimen nicht gutgehen. Zwischen Katholiken und Protestanten auch nicht. Und ebenso wenig zwischen Kirche und Staat.

 

 

Das christliche Abendland war also im Grunde etwas, das von Konflikten geprägt war und mehr eine Sehnsucht nach einer einheitlichen Kultur ausdrückte als etwas natürlich Gewachsenes. Vor allem wurde es aber schon immer als etwas hingestellt, was verteidigt werden müsse, egal gegen wen, je nachdem, was gerade angesagt war, mal gegen die Juden, mal gegen den Kommunismus und heute wohl gegen die Islamisierung.

 

 Besonders beeindruckte mich an diesem Abend dann unser Superintendent, der sich als Mann der Kirche hinstellte und ohne mit der Wimper zu zucken behauptete: „Das christliche Abendland ist längst untergegangen.“ Natürlich war das provokativ gemeint und verfehlte auch seine Wirkung nicht, weder bei den Zuhörern, noch am nächsten Tag in den regionalen Medien. Allerdings blieb es nicht bei der pointierten Provokation, sondern er belegte seine These auch noch schlüssig.

 

 

Die europäische Kultur vergangener Zeiten sei nicht mehr unsere heutige, meinte er. Die Kirche und der Glaube erheben längst nicht mehr den Anspruch, sich in die weltliche Ordnung einzumischen. Vielmehr leben wir inzwischen in einem Zeitalter der klaren Trennung zwischen Staat und Kirche, was aus seiner Sicht sowohl positive wie auch negative Aspekte habe. Die positiven liegen auf der Hand, so führte er aus, wenn man sich den Frieden hier ansieht, die Religionsfreiheit und gänzlich fehlende Anfeindungen gegen die evangelische Kirche.

 

Ehrlich gesagt habe ich das noch nie so gesehen. Ich habe mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht, wie es wäre, wegen meines Glaubens ausgegrenzt oder angefeindet zu werden. Musste ich mir nicht machen. In früheren Jahrhunderten war das selbst hier in meiner ach so geschätzten Heimat deutlich anders.

 

Allerdings gebe es auch eine negative Seite, erläuterte unser Superintendent weiter. Diese Toleranz gegenüber anderen Wertvorstellungen führe nämlich auch dazu, dass jeder Mensch sich selbst Gedanken über Moral machen muss und daher nicht selten zu einer Orientierungslosigkeit. Wir leben in einer Zeit, in der das Wissen immer größer wird, in der jeder sich spezialisieren muss und damit aber die Gesamtheit aus dem Blick verliere. Das hat bei vielen Menschen zur Folge, dass sie sich gerade in den grundsätzlichen Fragen des Lebens unsicher fühlen und sich nach absoluten Wahrheiten sehnen.

 

Fortsetzung folgt...