Jehovas Zeugen waren schon da

Glaubensfragen - Teil 1

 

D. hält mir eine Broschüre unter die Nase. Darauf prangt eine ziemlich kitschige Christus-Darstellung zwischen arabischer Schrift, die ich ja leider nicht lesen kann. Also blättere ich erst einmal ziemlich ratlos darin herum und entdecke weitere pathetische Bilder, die auf mich die gegenteilige Wirkung von dem haben, was die Grafiker vermutlich beabsichtigten.

 

Nun habe ich ohnehin Vorbehalte gegen allzu plakativ dargestellten Glauben. Meine Beziehung zu Gott ist für mich etwas sehr Persönliches und eher Stilles und seit jeher sind mir jene Menschen, die ihre Religiosität allzu offensichtlich und womöglich auch noch kämpferisch zur Schau stellen äußerst suspekt. Das gilt in erster Linie für alles, was mir zu fundamentalistisch vorkommt, aber auch für jene schwärmerische Form des Glaubens, den wir als Jugendliche im Konfirmandenunterricht bei einigen in der Gemeinde engagierten Damen so überaus lächerlich fanden.

 

Egal, beim Anblick der bunten Bildchen kommt mir allmählich ein Verdacht und die verlässlich in unserer Schrift angegebene Webadresse im Impressum bestätigt ihn schließlich. Es ist ein Heftchen der Zeugen Jehovas, die, wie D. mir erzählt, gestern geklingelt haben, um mit ihm mal über Gott zu sprechen. Was das angeht, sind sie eindeutig schneller als die Katholiken und Protestanten, allerdings sind wohl auch sie ziemlich schnell an der Sprachbarriere gescheitert.

 

 

Dennoch haben sie D. die Broschüre dagelassen und ihn ganz offensichtlich dazu gebracht, sich eingehend damit zu beschäftigen. Zumindest hat er die Texte gelesen und hat jetzt an mich einige Fragen zu unserer Religion. Leider scheitert es auch hier vor allem an der Sprache, dass ich nicht immer verstehe, worauf er hinaus will und ihm eben auch nur einen Bruchteil von dem begreiflich machen kann, was ich ihm gerne über meinen evangelischen Glauben mitgeben möchte. Trotzdem sträubt sich in mir alles dagegen, ausgerechnet den Zeugen Jehovas die Deutungshoheit über das Christentum zu überlassen.

 

Wieder zuhause schreibe ich umgehend eine Mail an die Pressestelle unserer Landeskirche und erkundige mich, ob es nicht auch von uns Materialien gibt, mit denen wir muslimische Flüchtlinge über unsere Kirche und unseren Glauben informieren können, ohne dabei gleich zu missionieren und sie zu bedrängen. Immerhin schreibe ich unter anderem für die Kirche, da sollte ich die Verbindungen doch auch nutzen. Außerdem bekomme ich auch noch am selben Tag eine Antwort, an wen ich mich wenden könne, um eine zweisprachige Bibel zu bekommen.

 

Die nächste Mail schiebe ich dann allerdings erst einmal auf die lange Bank. Zum einen, weil ich andere Dinge im Kopf habe, zum anderen, weil eine zweisprachige Bibel eigentlich nicht das ist, was ich mir vorgestellt habe. Wäre ich in einem muslimischen Land, würde ich mir niemanden wünschen, der mir einen Koran in die Hand drückt, sondern vielmehr jemanden, der mich an die Hand nimmt und mir einige Grundzüge des Islam erläutert.

 

 

Auch wenn ich für mich selbst eine religiöse Überzeugung habe, muss die noch lange nicht für andere gelten, denke ich. Daher habe ich schon immer mehrere Schritte rückwärts gemacht, wenn mich jemand von seinen Ansichten zu überzeugen versuchte und das übrigens nicht nur in Sachen Religion. In allem, was nicht faktisch eindeutig ist, möchte ich gerne die Chance bekommen, erst einmal selbst nachzudenken und mir eine eigene Meinung bilden, bevor ich einen Standpunkt einnehme. Wer das nicht akzeptieren kann und mir seine Sichtweisen aufzudrücken versucht, der muss bei mir mit einem ausgeprägten Fluchtreflex rechnen.

 

Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich gleich an den ersten Tagen als wir unseren türkischen Nachbarn I. und seine Familie kennenlernten, ihn bat, D. doch mal die hiesige Moschee zu zeigen und ihn vielleicht einigen Leuten vorzustellen, wenn er das will. Mir jedenfalls wäre es wichtig, in der Fremde andere Christen zu treffen, weil mir das eben in gewisser Weise vertraut ist und damit Sicherheit gibt.

 

Außerdem kam ich neulich mal unangekündigt vorbei und die Kinder empfingen mich an der Tür mit den Worten „Papa betet gerade.“ Ich nickte D. nur zu und gab ihm zu verstehen, dass ich ihn nicht stören wollte. Sowas hat für mich mit Respekt gegenüber jedem Glauben und vor allem gegenüber jedem Menschen zu tun. Etwas irritiert war ich allerdings, dass D. zum Beten auf einem einfachen Handtuch kniete, so dass ich I. kurz darauf fragte, ob es hier denn nicht irgendwo Gebetsteppiche zu kaufen gebe. „Brauchst du nicht“, kam prompt die Antwort, „ich habe noch einen, den ich ihm geben kann.“

 

Fortsetzung folgt...