Weihnachtsstimmung ganz süß

Lahmacun mit Kinderpunsch - Teil 2

 

M., A. und S. scheinen die Rufe auch zu hören, jedenfalls stürmen sie sofort los und würden wahrscheinlich in laufender Fahrt aufspringen, wenn wir sie nicht zurückhalten würden. Schnell ordere ich ein paar Chips und kann nun wiederum D. nur mit Mühe davon abhalten, alles zu bezahlen. „Du willst schon das Essen bezahlen, also lass mich“, fordere ich und drückte ihm seinen Geldschein wieder in die Hand. Grundsätzlich finde ich es ja sympathisch, dass er sich so ungern zu etwas einladen lassen will, doch wenn man keine eigenen Kinder hat, nutzt man eben jede Gelegenheit, um auch mal eine Freude machen zu können.

 

Die leuchtenden Augen der drei als sie endlich aufsteigen dürfen, sind es jedenfalls wert, allerdings fällt die Auswahl bei all den Fahrzeugen und Reittieren unglaublich schwer. So sind wir dann auch die nächsten Minuten vollauf damit beschäftigt, A. und insbesondere M. davon abzuhalten, während der Fahrt immer wieder vom Hubschrauber auf das Nilpferd und dann vielleicht aufs Motorrad zu wechseln.

 

Da gibt es doch diese Scherzfrage, die ungefähr so geht: Du fährst mit deinem Auto in konstanter Geschwindigkeit, neben dir reitet ein Einhorn genauso schnell wie du und vor dir ein Schwein, das eindeutig größer ist als du, was machst du? Antwort: Steig vom Kinderkarussell ab und trink weniger Glühwein! M. hat zwar keinen Glühwein getrunken, das mit dem Absteigen beherrscht er aber perfekt und zwar immer genau dann, wenn wir gerade nicht hinsehen. Das Karussell stoppt, wir entschuldigen uns bei dem Betreiber, er startet wieder und sobald wir auch nur einmal unseren Blick abwenden, beginnt das Spiel von Neuem.

 

 

Hoffentlich ist Rainer bald hier, denke ich, denn ich möchte ihm die Aufsicht gerne aufs Auge drücken. Erst einmal übernimmt jedoch F., ihr reicht es nämlich und sie nimmt M. auf den Arm und lässt ihn unter Protest von außen zugucken. Die Mädchen fahren glücklich weiter im Kreis und können gar nicht genug bekommen. „So viele Dinge für Kinder gibt es in Syrien nicht“, stellt D. fest und ist ebenfalls ganz begeistert vom deutschen Weihnachtsmarkt.

 

Dann taucht endlich Rainer auf und wird von allen drei Kindern erst einmal so stürmisch begrüßt als sei er der Weihnachtsmann persönlich. Es geht eben auch ohne Rauschebart und rote Mütze und vor allem auch ohne einen Sack voll Geschenke. Diese Freude der drei, wenn wir einfach nur da sind und mit ihnen spielen, überwältigt und berührt mich jedes Mal wieder.

 

Noch stärker ist im Moment nur das Gefühl des Hungers, das sich knurrend aus meinem Bauch meldet. Jetzt, wo wir alle da sind, kann D. uns endlich in die kulinarischen Besonderheiten seiner Kultur einweihen, denkt er. Dass ich insbesondere zu Studienzeiten nicht eben selten Lahmacun beim Türken um die Ecke gegessen habe, weil es einfach lecker und preisgünstig war, erzähle ich ihm vorsorglich erst einmal nicht. Als Rainer nämlich verkündet: „Ich hab' gerade schon ein Fischbrötchen gegessen“, ist D. schon enttäuscht genug. Ob nun aus Heißhunger oder um eventuellen Experimenten aus dem Weg zu gehen, weiß ich nicht, nach kurzem Zögern, lässt er sich dann aber auch noch zu einem zweiten Gang überreden. Naja, norddeutsches Fischbrötchen und türkische Pizza, besser kann Integration eigentlich kaum schmecken.

 

Mir persönlich ist es lieber als alles typisch Weihnachtliche, was es hier so gibt, und auch, dass das Kinderkarussell mit elektronischen Beats unterlegte Kinderlieder statt Last Christmas und anderer Unerträglichkeiten spielt, stört mich nicht im Geringsten. Schön ist die Musik zwar trotzdem nicht, aber ich konzentriere mich eben aufs Kinderlachen von M., A. und S. Letztere hat inzwischen festgestellt, dass das Karussell ja gar nicht mal so schnell und gefährlich ist und versucht in jeder Runde mit mir abzuklatschen, wenn sie an mir vorbeifährt.

 

 

Dabei Lahmacun zu essen, ohne mich von oben bis unten zu bekleckern oder wahlweise vors galoppierende Schweinchen zu fallen, erfordert meine volle Konzentration, macht mich aber auch ausgesprochen glücklich. So glücklich, dass ich nach drei Runden beschließe, uns allen einen Kinderpunsch auszugeben, wobei ich nicht weiß, ob es echt die Sehnsucht nach billigem Glühwein ist, oder ob ich nur ein paar Minuten Ruhe vom Karussell brauche.

 

„Kinderpunsch?“, fragt Rainer skeptisch als ich für uns alle das gleiche bestelle. „Na, wir müssen sie nachher nach Hause fahren. So durchgefroren werden die Kinder bestimmt nicht noch eine Dreiviertelstunde zu Fuß laufen wollen.“ Schicksalsergeben stimmt er zu und bedauert sehr, dass Karussells immer nur im Kreis und nicht ausnahmsweise mal bis vor die Haustür fahren.

 

Der Kinderpunsch ist im Nachhinein doch keine so gute Idee, der ist nämlich erst viel zu heiß und sobald ich diesen einen, richtigen Augenblick verpasst habe, ist er ziemlich schnell kalt und dafür aber so unglaublich süß, dass ich das Gefühl habe, rosafarbene Einhörner würden auf meiner Zunge tanzen. F., D. und Rainer ergeht es ähnlich und selbst die Kinder lassen schließlich den Rest stehen. Dabei haben Süßigkeiten bei allen dreien meist keine lange Lebenserwartung. Egal. Zum deutschen Weihnachtsmarkt gehört das nun mal dazu. Zumindest stellt sich selbst bei mir zum ersten Mal seit Jahren wieder so etwas wie Weihnachtsstimmung ein.

 

 

Nachtrag: Mein Anflug von Weihnachtsstimmung verflüchtigte sich ziemlich schnell wieder, als ich gestern die Nachrichten aus Berlin hörte. Dass so etwas passiert, ist schrecklich, unfassbar und darf einfach nicht sein. Leider gibt es aber nun einmal Gutes wie Böses auf der Welt. Darum machte es mich heute wütend, als ich von meinem Bruder hörte, er traue sich gar nicht mehr mit seinen Kindern auf den Weihnachtsmarkt und wisse nicht, wie er sie überhaupt noch schützen soll. Allerdings sei ja abzusehen gewesen, dass sowas in unserem Land irgendwann passiere, schlug meine Mutter den gleichen Ton an, unsere Politik sei mehr oder weniger selbst schuld. Ich wollte und will gar nicht näher darauf eingehen, ich muss nur sagen, dass meine Erfahrungen der letzten Monate mir gezeigt haben, dass das Gute stärker ist und dass wir unsere Gesellschaft positiv beeinflussen können, wenn wir uns nur ein kleines bisschen Mühe geben.