Integration ganz besinnlich

Lahmacun mit Kinderpunsch - Teil 1

 

Weihnachten ist dem Ursprung nach neben Ostern das christlichste aller Feste, der Weihnachtsmarkt eine typisch deutsche Tradition, die sich in alle Welt verbreitet hat. Somit muss ein Besuch auf dem örtlichen Weihnachtsmarkt doch für jeden, der sich hier integrieren will, eigentlich verpflichtend sein, oder nicht? Inklusive Glühwein und Christstollen natürlich und der insbesondere in ländlichen Regionen ohne sonstige eigene Spezialitäten immer häufiger angebotenen Weihnachtsbratwurst des örtlichen Schlachters, die sich von der Sonstjahresbratwurst meist lediglich durch eine mit Sternen oder Tannenbäumen bedruckte Serviette unterscheidet.

 

Wir wollen unseren Weihnachtsmarkt auf jeden Fall mit D., F. und den Kindern unsicher machen und sie in die Geheimnisse deutscher Vorweihnachtsstimmung einweihen. All die Fragen, ob es da aus religiösen Gründen zu Gewissens- oder anderen Konflikten kommen kann, stellen sich meiner Meinung nach nicht, denn ich befürchte, die Mehrheit der deutschen Muslime ist mit der eigentlichen Weihnachtsbotschaft vertrauter als viele Einheimische, die schon im September die ersten Dominosteine aufkaufen, sich ab Mitte November einen Lichterbogen ins Fenster stellen und spätestens ab dem ersten Advent jeden dritten Tag mit Kollegen, Freunden, Verwandten und allen, die sich nicht wehren können, einen kleinen Bummel über den Weihnachtsmarkt machen. Die christliche Botschaft ist egal, aber wem nicht bis zum 24. Dezember mindestens einmal vom billigen Punsch aus dem Tetrapack zum überhöhten Preis schlecht geworden ist, der ist kein richtiger Deutscher, dem fehlt es am echten Sinn für Besinnlichkeit.

 

Zum Glück gibt es auf unserem kleinen, aber feinen Weihnachtsmarkt sogar zwei Karussells, so dass wir uns sicher sind, mindestens den Kindern eine Freude machen zu können. Gerade nach unseren Jahrmarktserfahrungen haben wir die ja wieder als die Attraktion kennengelernt, die sie früher auch für uns waren, obwohl es für viele Kinder heute ja weit moderne Fahrgeschäfte sein müssen, damit sie überhaupt wenigstens von ihrem Smartphone aufblicken.

 

 

Rainer und ich fühlen uns super als wir F. und D. unseren grandiosen Vorschlag unterbreiten und sind dann ein wenig enttäuscht als D. sagt, er sei seit der Eröffnung schon mindestens dreimal dort gewesen. Zum Glück geht der Satz noch weiter und er sagt: „Ich war schon oft da, das ist eine gute Idee mit F. und Kindern, und euch lade ich dann zu dem Stand ein, an dem es Lahmacun gibt.“ Tatsächlich ist die Bude mit türkischen Spezialitäten auf unserem Markt ebenso Tradition wie vieles andere und für mich neben dem Wagen des asiatischen Imbiss eine meiner Hauptanlaufstellen.

 

Mit meiner Begeisterung für allzu deutsche Traditionen ist es ja ohnehin nicht so weit her. Ich kann mich nicht für Fußball begeistern, vor allem nicht für das Schwenken unserer Flagge bei internationalen Turnieren, der deutsche Schlager ist für mich ein Grund zum Ohrenzuhalten und man kann mich eben auch mit diesem ganzen Weihnachtskitsch jagen. All das brauche ich nicht und es fällt für mich eigentlich in die Kategorie Deutschtümelei und hat damit den gleichen Stellenwert wie der amerikanische Patriotismus, den wir eben bloß in so reiner Form nicht ausleben dürfen.

 

Oder durften? Zumindest in letzter Zeit scheint es ja in gewissen Kreisen – und damit meine ich nicht nur die klassischen Rechten – wieder eine Hinwendung zu allem zu geben, was vermeintlich typisch deutsch ist. Meine Auffassung ist da eine andere, die geht eher auf eine christlich geprägte Moral und ein humanistisches Weltbild zurück als auf die moderne Form dessen, was meiner Meinung nach schon im Nachkriegs-Heimatfilm ein falsches idyllisches Bild unseres Landes prägte. Doch das führt jetzt zu weit. Hier soll es ja schließlich um den Spaß am Karussellfahren gehen.

 

 

Jedenfalls verabreden wir uns mit F. und D. für den kommenden Tag auf dem Marktplatz, damit auch wir endlich mal zu Fuß gehen können und somit auch den ersten Glühwein des Jahres trinken können. „Wir kommen dann mit dem Bus hin und ihr fahrt uns mit dem Auto nach Hause?“, fragt D. und sieht uns erwartungsvoll an. Rainer und ich wechseln einen kurzen Blick, zucken mit den Achseln und sagen dann zu. Dann gibt es eben Kinderpunsch für alle.

 

Als ich am nächsten Tag ankomme, laufen mir S. und M. schon an der Ampel entgegen. A. ist wie immer etwas zögerlicher, wobei ich immer noch nicht genau weiß, ob es einfach ihr Naturell ist, das typische Verhalten eines mittleren Kindes oder ob sie vielleicht doch Dinge erlebt hat, die es ihr schwer machen, so unbefangen auf Menschen zuzugehen wie ihre Schwester und ihr Bruder. Nach einer Weile kommt sie aber doch angelaufen und ich setze die beiden anderen ab, um nun sie auf den Arm zu nehmen und zu begrüßen. Immerhin lächelt sie zufrieden und hat zumindest wohl kein grundsätzliches Problem mit Nähe.

 

Zu sechst laufen wir auf die beleuchteten Buden und die über den Platz schallende Weihnachtsmusik zu, Rainer kommt erst etwas später, schrieb er mir gerade noch, er muss im Büro noch irgendetwas erledigen. Na, dann warten wir eben eine Weile, denke ich mir, doch Warten ist leider etwas, was kleine Kinder überhaupt nicht können. Schon gar nicht, wenn sich neben ihnen ein Karussell geradezu auffordernd im Kreis dreht und die Pferde und Feuerwehrautos fast schon hörbar nach ihnen rufen.

 

Fortsetzung folgt...