Eine spontane Idee

Ein schmaler Grat zwischen Spaß und Schrecken - Teil 1

 

Wieder einmal sitzen wir mit F. und D. sowie dem Nachbarn I. im Wohnzimmer. Die Kinder turnen um uns und auf uns herum bis F. sie energisch in ihr Zimmer schickt. Immerhin haben wir die Anmeldung zum obligatorischen Integrationskurs und andere Formalitäten zu besprechen. Dabei würden auch Rainer und ich viel lieber mit S. A. und M. spielen, zumal Rainer wieder einmal einige aussortierte Spielsachen aus Bielefeld mitgebracht hat.

 

Beim letzten Mal waren es etliche Kuscheltiere. Die kamen bei den Kindern zwar super an, doch nicht, weil sie mit ihnen kuscheln wollten, sondern um sie zuerst ordentlich auf dem Sofa, später dann sogar in der Glasvitrine zu arrangieren. Anfangs hat mich das irritiert bis ich dann auch von anderen hörte, dass das Konzept Kuscheltiere in der arabischen Welt wohl relativ unbekannt ist.

 

Etwas Ähnliches habe ich mal aus Indien gehört, wo ein Bollywood-Schauspieler in einem Interview mal gefragt wurde, warum in den Filmen so selten Haustiere auftauchen. „Sehen Sie“, antwortete er mit einem Hauch britischen Understatements, „wir haben hier eine große Überbevölkerung und jede Menge Kinder. Da können die meisten Menschen nicht auch noch Tiere zu ihrer Familie dazuzählen.“

 

 

Trotzdem haben Rainer und ich uns vorgenommen, den Kindern die Spielsachen, die wir ihnen mitbringen, zu erklären oder vielmehr gemeinsam mit ihnen damit zu spielen. Völlig uneigennützig, versteht sich. Auch den nächstgelegenen Spielplatz wollen wir uns demnächst mal vornehmen, denn wir haben den Eindruck, dass die Kinder überwiegend im Haus beschäftigt werden.

 

„Am Wochenende ist übrigens Jahrmarkt“, fällt mir plötzlich ein. „Gute Idee, aber was mache ich dann mit Monika?“, fragt Rainer. Er führt immerhin seit mehr als zwanzig Jahren seine Fernbeziehung und die gemeinsamen Wochenenden sind beiden logischerweise heilig. Ab und zu kommt sie zwar auch her, meist fährt er jedoch rüber nach Bielefeld, wie eben auch an diesem Wochenende. Solch kurzfristige Planänderungen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, kommen bei vielen Frauen nicht so gut an. Leider kommen mir gute Ideen nun einmal meist spontan. Darum bin ich schließlich Single und Rainer seit vielen Jahren in einer glücklichen Beziehung. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Monika reagiert anders als erwartet und macht uns übers Handy klar, dass das eine tolle Idee ist und die Kinder ohnehin ein bisschen Spaß und Normalität brauchen. Auch D. und F. sind sofort begeistert, vom Jahrmarkt, vor allem aber von Monika, die sie unbedingt kennenlernen wollen. Diesmal schaffe sie es nicht, aber beim nächsten Volksfest würde sie auf jeden Fall dabei sein, verspricht sie. Inzwischen kenne ich sie gut genug um zu wissen, dass sie eine solche Zusage auf keinen Fall brechen wird.

 

 

Wir freuen uns also alle aufs Wochenende, laden auch I. und seine Familie ein, uns zu begleiten und kommen so wieder einmal ins Plaudern. Okay, wir plaudern mit I. und er plaudert mit D. und F., aber die wichtigen Dinge übersetzt er wechselseitig, so dass es sich tatsächlich wie ein gemütlicher Abend unter Freunden anfühlt.

 

Das empfinde ich inzwischen immer deutlicher, es ist längst kein Ehrenamt mehr, bei dem die Betonung auf der letzten Silbe liegt, sondern tatsächlich ein Freundschaftsdienst geworden, wobei die zweite Worthälfte hier nur dann zutrifft, wenn wir es mit den Behörden zu tun haben. Umso mehr stößt mir immer wieder sauer auf, dass viele von Rainers und meinen Freunden häufig wissen wollen, was es Neues von „unseren Syrern“ gibt, während meine Familie dieses Thema überhaupt nicht anspricht. Nein, stimmt nicht, mein Vater fragt schon nach, ihn interessiert sogar ziemlich genau, welche Fortschritte in Sachen Integration wir machen und wie unsere Schützlinge sich hier einleben. Bei meiner Mutter, immerhin ehemalige Grundschullehrerin, ist das anders. Sie spricht mich nie auf unsere Flüchtlingshilfe an, sondern bringt höchstens mal ihre Sorgen über unser Land vereinnahmende Muslime zum Ausdruck.

 

Allerdings habe ich auch schon von einigen anderen Ehrenamtlichen gehört, dass sie im Familien- oder Freundeskreis für ihr Engagement kritisiert und sogar angefeindet werden. „Mir hat mal jemand ganz direkt gesagt: 'Ihr werdet schon sehr bald sehen, was ihr von eurer Flüchtlingshilfe habt und wohin sie unser Land führt'“, hatte mir erst kürzlich eine Bekannte erzählt. Menschlichkeit und Nächstenliebe stehen wohl nicht mehr so hoch im Kurs.

 

Fortsetzung folgt...