Bombay und ein Abschied vom Himmel

Culture Clash - Teil 2

 

Genau diesen Eindruck hatte ich eigentlich auch durch meine Arbeit für ein Bollywood- und Indienmagazin. Gerade in diesem Land, in dem so viele Menschen unterschiedlichster Religionen zusammenleben, geht es meiner Meinung nach erstaunlich friedlich zu. Natürlich kommt es auch in Indien immer mal wieder zu Konflikten, teil blutig und voller Hass auf Andersgläubige. So musste ich zum Beispiel über die Terroranschläge in Bombay im November 2008 berichten und sammelte in meinem Artikel Fakten über weitere Auseinandersetzungen mit religiösem Hintergrund.

 

Die gab es zwar, doch in einem Land mit mehr als 350 Einwohnern pro Quadratkilometer und oft noch sehr strengen Traditionen erschienen sie mir relativ selten. Vor allem wurden viele dieser Ausschreitungen schon wenig später medial aufbereitet und erschienen immer wieder Filme, in denen die Gewalt als abscheulich und überflüssig dargestellt wurde. Nicht selten waren die, wie beispielsweise Mani Ratnams „Bombay, aufwendig produziert und drastisch in ihrem Appell für ein friedvolles Miteinander (ja, ich gebe zu, es ist einer meiner Lieblingsfilme) und wurden zu Kassenschlagern. Offenbar hält also doch die Mehrheit der Menschen nichts von Gewalt und sehnt sich nach einem konfliktfreien Miteinander.

 

 

Allerdings ist dazu eben manchmal auch ein Bruch mit allzu strengen Traditionen nötig. Das machte mir insbesondere Hamed Abdel-Samad klar, den ich bei mehreren Vorträgen und in persönlichen Gesprächen erleben durfte. Der Politikwissenschaftler und Publizist beschreibt in seinem ersten Buch „Mein Abschied vom Himmel“ sehr eindringlich seine eigenen Erfahrungen mit dem Islam und wie er sich von vielem abwendet. Außerdem ist er aber auch ein brillanter Analyst, wie ich erstmalig durch einen Vortrag zur Revolution in Ägypten erfahren durfte. Damals sprach er über die Ursachen für den Protest im Land, die er vor allem im Verhindern wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts durch die Religionsführer sieht.

 

„Es waren 18 Millionen Menschen auf der Straße, um gegen Präsident Mubarak zu protestieren, ich glaube, das hat es vorher noch nie gegeben“, schilderte er seine Eindrücke vom Frühjahr 2011. Die „Facebook-Generation“ habe sich vernetzt und gegen die alten erhoben, nicht zuletzt weil sie aus dieser Welt des Hasses ausbrechen wollten. Nach der Revolution hätten allerdings die etablierten Gruppierungen ihren Einfluss wieder gestärkt, so dass die konservativen Kräfte erst einmal wieder erstarkten, meinte er.

 

Für Ägypten sah Hamed Abdel-Samad damals eine Chance, um das Land zu modernisieren, zu stabilisieren und in die globalisierte Zukunft zu führen. Für Syrien, so sagte er damals, zweifle er mittelfristig an einer solchen positiven Entwicklung. Es sei ein interner Kampf der Kulturen, den das Land ausfechten müsse, einer, wie er zur Zeit der Aufklärung auch in Europa stattgefunden habe.

 

 Hamed Abdel-Samad ist als Islamkritiker nicht unumstritten, erntete auch hierzulande viel Kritik als er beispielsweise den Dialog mit der AfD suchte. Wer ihm aber länger zuhört oder seine Bücher liest, erfährt, dass es ihm nicht um eine Verteuflung des Islam als solches, sondern um eine Erneuerung, fast wie die Reformation im Christentum, geht. Und vor Anhängern der Alternative für Deutschland hielt er deshalb Vorträge, weil er fest daran glaubt, dass es möglich ist, den besorgten Bürgern ihre Ängste zu nehmen, und weil er ein radikaler Vertreter von Demokratie und Meinungsfreiheit ist.

 

 

Ganz sicher stimme ich ihm nicht in allen Ansichten zu, das muss auch nicht sein, doch mit seinen Vorträgen über den Islam und über den Wunsch nach einer Revolution in der arabischen Welt machte er mich sehr nachdenklich. Mag sein, dass doch etwas dran ist an der Gefahr, die von allzu verhärteten Traditionen ausgeht. Mag sein, dass es noch lange dauert, bevor eingefahrene Strukturen in vielen Gesellschaften aufgebrochen werden. Mag sein, dass der ursprüngliche Islam und die moderne Welt nicht zusammenpassen. Doch ich glaube fest an die Sehnsucht nach Frieden, die allen Menschen gemein ist und die mindestens ebenso stark ist, wie alle Machtinteressen der Herrschenden.

 

Natürlich bin ich von meiner Kultur überzeugt und möchte sie nicht aufgeben. Muss ich aber auch nicht. Genauso wenig muss ich aber jemand anderen zwingen, meine Kultur anzunehmen. Will ich auch gar nicht. Was ich will ist, dass die anderen mich so leben lassen, wie ich es will. Dann lasse ich auch sie ihr Ding machen und es gibt keinerlei Probleme. Klingt vielleicht zu einfach und naiv, aber genau so funktioniert die Welt im Grunde. Davon bin ich nach wie vor überzeugt.

 

Der Weg dahin ist kein Verschanzen hinter den eigenen Traditionen, sondern ein Kennenlernen und Respektieren der fremden. Dann erkenne ich, dass diese nicht auf Konflikte ausgerichtet sind und erkenne manchmal sogar Gemeinsamkeiten. Genau das ist es, warum ich so froh bin, D., F., S., A. und M. kennenlernen zu dürfen und hautnah mitzuerleben, wie dieses Nebeneinander zweier Kulturen auch ohne einen Kampf funktionieren kann.