Vorbei an der Schlange

Tafeln wie die Könige - Teil 1

 

Die Tafeln sind in Deutschland zum Sinnbild eines abgehängten Teils der Gesellschaft geworden. Nur, wer nicht anders kann, bezieht von dort seine Grundnahrungsmittel und wenn, dann auf jeden Fall so, dass es Nachbarn und Bekannte nicht mitbekommen. Dass ich selbst einmal bei der Tafel in der Schlage stehen werde, habe ich ehrlich gesagt auch nicht gedacht, dabei ist es nicht nur nicht schlimm, sondern sogar eine tolle Erfahrung.

 

Als ich mit D. das erste Mal dort bin, müssen wir uns zunächst anmelden. Es wird überprüft, ob er und seine Familie berechtigt sind, außerdem wird die Anzahl und das Alter der Kinder notiert und natürlich auch, dass sie Muslime sind, also kein Schweinefleisch bekommen wollen. Anschließend müssen wir drei Euro bezahlen und eine Nummer auf einem Papierschnipsel ziehen.

 

„Die Nummern werden jedes Mal neu gezogen, damit wir eine zufällige Reihenfolge haben und es nicht zum Vordrängeln kommt“, erklärt uns eine Mitarbeiterin und fügt hinzu: „Aber da Sie heute zum ersten Mal da sind, dürfen Sie sich ganz vorne anstellen.“ Kurz darauf sind wir tatsächlich die ersten, die in den Raum der Ausgabestelle vorgelassen werden. Immer einer nach dem anderen, damit kein Gedränge und für die Mitarbeiterinnen kein Stress entsteht.

 

Uns erwarten von oben bis unten gefüllte Regale mit allerlei Waren, die das Herz begehrt, davor ein Tresen mit lächelnden Mitarbeiterinnen, die uns eine große Kiste bereitstellen und fragen, was wir denn haben möchten. D. ist zunächst noch zögerlich, kann anscheinend kaum fassen, dass er für so wenig Geld ein so großes Angebot präsentiert bekommt. Mir geht es ehrlich gesagt nicht anders.

 

 

Genaugenommen erinnert mich die ganze Situation an die Geschichten aus der sogenannten guten alten Zeit als Oma noch zum Tante-Emma-Laden ging oder an Loriots „Pappa ante portas“ („Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein...“). Leider kann D. weder im Ganzen vorlesen, was er auf der Liste hat, noch alles einzeln nacheinander durchgehen. Er kann nur nicken oder den Kopf schütteln. Erschwerend hinzu kommt, dass er bei manchen Dingen nicht einmal weiß, was es ist, da es die in Syrien wohl nicht gibt.

 

Mit Kartoffeln kann er offenbar nicht so viel anfangen und auch den Blumenkohl beäugt er sehr lange sehr kritisch. Irgendwann zückt er sein Smartphone, so dass wir bei manchen Sachen weiterkommen und er kapiert, was die Deutschen ihm da in die Einkaufskiste packen. Die als „für Tiefkühl- aber echt lecker“ angepriesenen Fertiggerichte lehnt er kategorisch ab, dafür freut er sich umso mehr als ihm noch Pudding für die Kinder eingepackt wird.

 

Kurz darauf merke ich, wie schlecht vorbereitet ich bin, denn eigentlich sollen die Waren jetzt von den Kisten in mitgebrachte Tüten oder Körbe umgepackt werden. „Na gut, wenn Sie versprechen, die Kiste beim nächsten Mal wieder mitzubringen, dürfen Sie sie ausleihen“, bekommen wir gesagt, dann ist mein erster Einkauf bei der Tafel vorbei und wir schleppen unsere reiche Beute zum Auto.

 

 

Zuhause sind F. und die Kinder genauso begeistert wie wir, ab jetzt werden wohl die meisten Einkäufe bei der Tafel erledigt. Die Berührungsängste, die viele Deutsche mit dieser Einrichtung haben, sind ihnen fremd, sie sind einzig und allein dankbar für die Unterstützung und die tollen Lebensmittel, die sich ja wirklich in nichts von denen im Supermarkt unterscheiden. Vermutlich würden die beiden die Welt nicht mehr verstehen, wenn sie wüssten, wie viel in Deutschland zu viel produziert und hinterher vernichtet wird oder dass die meisten unserer Waren eine Reise um die halbe Welt hinter sich haben. Mir geht es im Grunde nicht anders, nur schiebe ich solche Gedanken meist weit weg, um nicht in einer bodenlosen Kapitalismuskritik zu versinken.

 

Na klar, ich kaufe die meisten meiner Lebensmittel auch in Discounter. Oft sehe ich nur auf den Preis, blende alle anderen Überlegungen aus. Nach wie vor bin ich auch überzeugt, dass die Verantwortung nicht auf die Verbraucher abgewälzt werden darf, sondern das Politik und Wirtschaft hier für Nachhaltigkeit sorgen müssen. Ebenso wie ich auch die Großen und Mächtigen in der Pflicht sehe, sich um die Ungerechtigkeit und die Krisen auf unserem Planeten zu kümmern. Trotzdem sind es am Ende viele kleine Ehrenamtliche, die die geliehene Kiste von der Tafel wieder zurückbringen. Und überhaupt sind es solche Einrichtungen, die bei der sich immer weiter vergrößernden Kluft zwischen Arm und Reich dafür sorgen, dass manches von dem, was die Großverdiener sich in die Taschen schaufeln, wieder an die zurückfließt, die es nötig haben.

 

Fortsetzung folgt...