Abtanzen und Musik machen

Musik kennt keine Sprachbarrieren - Teil 2

 

Als die ersten Kinder anfangen, vor der Bühne zu tanzen, schnappe ich mir A., die zwar mit dem Fuß wippt, sich allerdings noch nicht mehr traut. Mir ist es egal, was die Leute über mich denken, eine so junge Tanzpartnerin bekomme ich nicht jeden Tag. A. taut merklich auf und hat Spaß. So viel Spaß, dass schon bald ihre Schwester vor mir steht und auch ihren Tanz einfordert. Um keine von beiden zu enttäuschen, tanzen wir zu dritt im Kreis, nur wenig später zu viert, weil auch M. mitmachen möchte.

 

F. und D. sehen ihren Kindern und mir zu, er legt ihr den Arm um die Schultern, es dauert nicht lange, dann tanzen auch sie mit den Kindern. Einige andere machen mit, die Partystimmung ist echt und keinesfalls aufgesetzt. Wie auf jeder Party werden irgendwann einige Songs im Refrain, solche Sachen wie „Westerland“ auch komplett mitgesungen. Mitgesungen von den Deutschen. Während die Flüchtlinge staunend zusehen. Sie mögen zwar hier gut angekommen sein, doch sie kennen noch so vieles nicht, was für uns Alltag ist, gemeinsame Geschichte, vielleicht das, was ein Volk ausmacht.

 

 

Irgendwann ist es Abend, die Kinder werden müde. Bevor wir uns auf den Heimweg machen, zieht Martin mich zur Seite. Er bietet freitags ein Musikprojekt für Flüchtlinge und Ehrenamtliche an. „Habt ihr vielleicht Lust, mal mitzumachen?“, fragt er. „Na klar, gerne“, antworte ich ohne Zögern. Es geht ihn nicht um einen Pressebericht, erst recht nicht um seine Person. Das weiß ich, dazu kenne ich ihn lange genug. Er hat heute gemerkt wie D., F. und vor allem die Kinder sich für die Musik begeistern konnten und hofft, dass er ihnen auch darüber hinaus etwas geben kann.

 

Erst als der Freitag immer näher rückt, kommen mir leise Zweifel. Ein Musikprojekt. Ein Projekt, bei dem die Teilnehmer Musik machen sollen. So richtig. In echt. Am Ende soll sogar eine Art Band entstehen. Klingt im Prinzip super, nur ist das letzte Mal, dass ich Musik gemacht habe eben mehr als zwanzig Jahre her und damals beendete eine Vier minus im Zeugnis meine aktive Bühnenkarriere.

 

Na gut, hier geht es nicht um mich. F. und D. freuen sich auf den Freitag und ich muss ja auch nicht jedes Mal dabei sein. Schließlich muss ich arbeiten. Das weiß auch Martin. Was er nicht weiß ist, dass ich weder Taktgefühl noch sonstige musikalische Talente habe. Ein bisschen Angst, mich zu blamieren, habe ich jetzt schon.

 

Da wir uns an den Busfahrplan halten müssen, kommen wir ein paar Minuten zu spät. Macht aber nichts. „Schön, dass ihr da seid“, kommt es ehrlich von Martin, außerdem haben sich die anderen gerade erst in einen großen Stuhlkreis gesetzt. Die anderen, das ist in diesem Falle eine bunte Mischung aus Migranten aus aller Welt und einigen Deutschen, viele von ihnen kennen sich bereits aus der Zeit in der Notunterkunft.

 

F. und D. kennen noch niemanden, sitzen daher auffallend ruhig neben mir. Die Kinder kennen auch niemanden, doch da im Nebenraum andere Kinder und vor allem jede Menge Spielzeug zu finden ist, haben sie kein Problem, sich sofort ins Getümmel zu stürzen. Warum eigentlich können wir uns diese Gabe, mit der Kinder offen auf andere zugehen, als Erwachsene nicht bewahren?

 

Martin präsentiert uns jetzt eine Kiste mit Boomwhackers. Sie sehen aus wie überdimensionierte Strohhalme, bunte Plastikröhren in unterschiedlichen Längen. Schnell bringt er uns bei, dass sie je nach Länge einen höheren oder tieferen Ton erzeugen, in der Gruppe lässt sich so also eine Melodie spielen. Mir ist relativ schnell klar, welche Intention hinter dieser Art des Musikmachens steckt, bei dem Lied, das Martin mit uns einübt verpasse ich am Anfang trotzdem meistens meinen Einsatz.

 

 

In dieser Gruppe macht das allerdings nichts, viele von uns sind zuerst noch zögerlich. Gerade dadurch macht es allerdings Spaß und nach und nach geben wir alle uns untereinander mit Blicken Zeichen, wer jetzt dran ist und allmählich wird die Melodie erkennbar. Noch ein wenig später bleiben wir alle sogar einigermaßen im Takt, so dass sich das, was wir mit unseren Riesenstrohhalmen trommeln tatsächlich nach Musik anhört.

 

Als nächstes Level kommt nun noch der Text hinzu, den wir beim trommeln mitsingen sollen. Anfangs noch sehr, sehr leise, werden einige dann mutiger, ziehen immer mehr von uns mit. „Regentropfen fallen sacht in der warmen Sommernacht. Und ich höre wie die Tropfen leise an mein Fenster klopfen“, erklingt es schließlich im Raum, auch die, die kein oder noch nicht so gut Deutsch sprechen, singen mit.

 

Zwischendurch wird übers Englische und dann auf Arabisch, Farsi und Paschtu übersetzt, was sie da eigentlich singen. „Also vom Stil her könnte es auch ein orientalisches Lied sein, die sind auch so schwärmerisch und verträumt“, platzt eine Teilnehmerin heraus und sorgt für zustimmendes Gelächter. Viel Übersetzung braucht es an diesem Nachmittag nicht mehr. Irgendwie scheint es als haben wir in der Musik eine Sprache gefunden, mit der wir uns auch ohne Worte verständigen können.

 

Doch gerade als die Stimmung fast schon zu schwärmerisch wird, platzen die Kinder aus dem Nachbarraum herein. Die Jüngeren, also auch S., A. und M. sind total begeistert und wollen mittrommeln. Das klingt dann allerdings eher nach Heavy Metal als nach orientalischer Musik. Und die Älteren sehen ihre Eltern zunächst einmal sehr skeptisch an. Sie sind eben in dem Alter, in dem man anfängt, sich nicht mehr vorbehaltlos auf alles einzulassen.