Nichts als Kanonenfutter

Freiheit statt Fundamentalismus - Teil 2

 

Ebenso kompliziert sei das mit den einzelnen Religionsgruppen innerhalb des Islam. Aus dem Bus heraus habe ich D. und F. gezeigt, wo in Osterode die Moschee ist, weil ich eben in einem fremden Land auch gerne eine Kirchengemeinde suchen würde. Doch es gebe schon Unterschiede und als syrische Kurden würden D. und F. nicht unbedingt in jede Moschee in Deutschland gehen, erklärt mir I. Aber gerne würden sie hingehen, sagen wiederum D. und F. so dass I. verspricht, ihnen dort gerne einige Leute vorzustellen. Na bitte, geht doch.

 

Trotzdem ist das Thema noch nicht so ganz vom Tisch. Rainer und ich haken noch einmal nach, ob I. als Türke denn jetzt ein Problem damit hat, dass F. und D. Kurden sind. „Weißt du“, setzt er an, „in der Türkei mag das anders sein, aber hier sehe ich es so, dass wir alle einfach Menschen sind.“ Damals in den 70ern bekam er nicht selten Ablehnung zu spüren und war dankbar für jeden, der ihn mit offenen Armen und ohne Vorbehalte empfing. Das möchte er heute weitergeben, sagt er, zumindest all jenen, die ebenso wie seine Eltern und er seinerzeit bereit sind, sich in diese Gesellschaft einzufügen.

 

 

Allein dies Worte berühren mich schon sehr, noch mehr allerdings das, was D. kurz darauf aus seiner Heimat erzählt. In Syrien seien die Kurden für das Assad-Regime immer nur Menschen zweiter Klasse gewesen. Sie durften keine eigenen Häuser bauen, nicht einmal Autos auf den eigenen Namen kaufen. Durch den Krieg habe sich das alles noch verschärft. Zwar zeige Baschar al-Assad plötzlich Interesse an den Kurden, doch nur deshalb, weil er sie in seiner Armee als Kanonenfutter gegen den Feind einsetze.

 

D. berichtet das alles erstaunlich nüchtern, I. übersetzt es mit einem spürbaren Kloß im Hals und mir verschlägt es gleich gänzlich die Stimme. Der IS trachte ihnen gleich ganz nach dem Leben, so wie auch die Nusra-Front und andere Organisationen, denen sie nicht in ihr dschihadistisch-salafistisches Weltbild passen, Assad möchte sie höchstens als Schutzschild für die eigenen Leute und so bleibe vielen Kurden nur die PKK, die sie unterstütze aber letztlich eben auch radikalisiere und für die eigenen Zwecke einspanne. Syrien biete für ihn und F. ein Leben in Unterdrückung und Angst, vor allem aber hat er Verantwortung für drei kleine Kinder und für S., A. und M. hält seine Heimat keine Zukunft bereit.

 

Da F. uns allen Kaffee gemacht hat, den sie jetzt serviert, und auch die Kinder um uns herumspringen, bricht das Gespräch erst einmal ab. Außerdem scheuen wir uns davor, allzu viel zu bohren und vielleicht Erinnerungen zu wecken, die sie im Moment verdrängen. „Ich bin jedenfalls froh, dass ihr hier seid und eure Kinder eine Chance haben, in Frieden und Freiheit aufzuwachsen“, sage ich und meine es aus tiefster Überzeugung.

 

 

Im Grunde weiß ich viel zu wenig über den Krieg in Syrien, habe natürlich das eine oder andere über Assad oder den IS gehört und gelesen, aber kaum etwas über die Situation der Kurden in Syrien und im Irak und ebenso wenig über die anderen Organisationen wie die Nusra-Front, die die einstige Revolutionsbewegung und die Sehnsucht der Menschen nach einer Veränderung zum Anlass nahmen, um ihre radikalen Ansichten durchzusetzen und das Land in einen aussichtslosen Krieg ohne klar erkennbare Gegner zu stürzen.

 

 Am Abend oder am Tag darauf, ich weiß es nicht mehr genau, telefoniere ich mit meiner Mutter und komme auch auf „unsere“ Syrer und ihre Flucht aus der Heimat ohne Zukunft zu sprechen. „Wer weiß, welche Ziele die hier verfolgen“, bekomme ich zu hören, „letztlich kann doch niemand kontrollieren, wie viele Terroristen im Moment ins Land kommen.“ In mir verkrampft sich etwas. „Vor allem kommen aber nicht die Terroristen, sondern die, die vor diesen Terroristen Schutz suchen“, versuche ich zu argumentieren. Es prallt an ihr ab, ihre Skepsis bleibt, ihre Meinung scheint sich sogar noch zu verhärten, je mehr ich sie zu überzeugen versuche.

 

„Jedenfalls sind es alles Muslime und die passen nicht zu uns.“ Darauf sage ich nichts mehr. Allerdings beschließe ich für mich, dass ich meiner Mutter von diesem Teil meines Lebens in Zukunft nichts mehr erzählen werde.