Sprache ist alles

Freiheit statt Fundamentalismus - Teil 1

 

Wir haben das große Los gezogen. I., der türkische Nachbar, und seine Familie sind gerne bereit, ab und zu mal zum Übersetzen herüberzukommen und bieten D. und F. ganz selbstverständlich an, sie dürften jederzeit bei ihnen klingeln, wenn sie mal Hilfe brauchten. Natürlich wollen wir das nicht ausnutzen, sind sich Rainer und ich einige, so dass wir uns in diesen ersten Tagen Listen mit den dringendsten Punkten machen.

 

Da ist zum Beispiel die Anmeldung bei den Sprachkursen, die wir für ganz wichtig halten. Um sich in Deutschland zurechtzufinden, müssen sie so schnell wie möglich unsere Sprache lernen. Letztlich verlangt das auch der Staat, doch um einen Platz in den offiziellen Sprachkursen zu bekommen, die sie auch für ihre Anerkennung als Asylbewerber benötigen, muss erst einmal ein neuer offizieller Kurs starten. Bis dahin jedoch gibt es eine gemeinnützige Einrichtung, die qualitativ ebenso gute Kurse bietet und darüber hinaus sogar noch etliche Angebote mehr.

 

Vor allem haben wir bei einem Telefonat erfahren, gibt es dort zeitgleich zu den Sprachkursen eine Kinderbetreuung, das die Mitarbeiter oft die Erfahrung machten, dass nur die Männer zum Kurs kommen, die Frauen aber mit den Kindern zuhause bleiben und somit in Sachen Deutschkenntnisse lange hinterherhängen. Letztlich ein Phänomen, das es vor Jahrzehnten schon bei den Gastarbeiterfamilien gab und wo die Tatsache, dass manche türkischen Frauen auch nach Jahren in Deutschland nur gebrochen Deutsch sprechen, als Zeichen für mangelnde Gleichberechtigung interpretiert wurde.

 

 

Dem wollen wir gerne vorbeugen und bitten Nachbar I. daher zu übersetzen, dass unbedingt beide zu den Kursen gehen müssen. „Sag ihnen bitte, dass ich sie morgen abhole, wir dann mit dem Bus gemeinsam zur Sprachschule fahren und sie dort anmelden.“ I. übersetzt, D. und F. nicken dankbar und ich bin froh, dass ich solche Sachen nicht mehr nur mit Händen und Füßen, mit der Übersetzungsapp oder dem Bildwörterbuch erklären muss.

 

Rainer hat sogar noch einen kaum gebraucht aussehenden Buggy aus seinem Keller hervorgezaubert, so dass wir uns am nächsten Tag ganz entspannt auf den Weg zur Bushaltestelle machen können, wo ich D. und F. erst einmal eine Monatskarte kaufe. Immerhin wohnen sie etwas außerhalb und zu Fuß bis ins Stadtzentrum zu laufen, egal ob zu den Ämtern, zur Sprachschule oder wohin auch immer, erscheint mir einfach zu weit. Die Kinder fahren zum Glück kostenlos.

 

An der der Sprachschule am nächsten gelegenen Haltestelle empfängt uns Rainer und gemeinsam zeigen wir ihnen den Weg, den sie von jetzt an hoffentlich mehrmals die Woche gehen und der sie einigen deutschen Gepflogenheiten ein wichtiges Stück näher bringt. Ganz untypisch für Deutschland läuft die Anmeldung erstaunlich unbürokratisch, ein Zettel, auf dem Namen und Adresse notiert werden reicht aus, dann wird auf dem Flur geschaut, ob gerade jemand der anderen Kursteilnehmer da ist, der Arabisch spricht und schon wird F. und D. übersetzt, dass sie hier zu allen Angeboten sehr willkommen sind und dass sie die Busfahrt hierher sogar erstattet bekommen.

 

 

Auf der Rückfahrt bekomme sogar ich die Fahrt für lau, denn als uns zufällig der gleiche Busfahrer wie auf der Hintour wieder mitnimmt, fragt er mich kurz, ob ich ehrenamtlicher Begleiter der Familie bin und winkt mich dann mit einem Lächeln durch. Allmählich bekomme ich den Eindruck, dass sich unsere chaotische Hilfsbereitschaft zu etwas entwickelt, das F., D. und den Kindern vielleicht wirklich weiterhilft und nicht ständig nur an Sprach- und anderen Barrieren scheitert.

 

Schließlich wollen wir ihnen nicht nur einige notwendige Arbeiten abnehmen, die sie alleine kaum bewältigen können, sondern ihnen letztlich Freunde sein, die ihnen ihre Heimat als liebens- und lebenswert vorstellen. Manchmal zweifle ich ja selbst daran, ob in unserem durchstrukturierten Land alles so golden ist, wie es glänzt, ob der Staat der humorlosen Erbsenzähler und besserwisserischen Biertrinker tatsächlich jener ist, nach dem sich angeblich die Mehrheit aller Flüchtlinge sehnt. Wenn ich daran denke, wie schnell ich hier Ärger mit den Nachbarn bekomme, weil das Treppenhaus mal nicht geputzt ist, oder einen Anranzer, weil ich eine Rasenfläche betrete, die nur zum Anschauen angelegt wurde, dann kommen mir daran manchmal Zweifel.

 

Wenn ich hingegen sehe, wie wir jetzt mit D., F. und I. zusammensitzen und neben den notwendigen Themen auch über persönliche sprechen, dann wird die Heimatliebe bei mir größer. „Sobald das Wetter besser ist, können wir bei uns im Garten auch mal grillen“, schlägt I. gerade vor, „natürlich ohne Schweinefleisch und nur Sachen, die auch halāl sind.“ Als wir nämlich erzählen, dass wir uns wundern, weil F. und D. im Discounter gar kein Fleisch kaufen, erläutert er uns erst einmal, dass auch er wie viele Muslime nichts kaufe, was aus einer nicht-muslimischen Schlachterei kommt. Das habe nicht mal nur damit zu tun, dass häufig die gleichen Messer für alle Fleischsorten verwendet werden, sondern sei etwas komplizierter.