Wut im Bauch

Auf gute Nachbarschaft - Teil 1

 

So viel zu tun. Wir müssen F. und D. unbedingt zu den Sprachkursen anmelden. Ohne Deutsch werden sie keine Chance haben, sich hier einzugewöhnen. Mal ganz davon abgesehen, dass wir dann auch keine Chance haben, uns mit ihnen zu unterhalten. Zur Sprachschule kommen sie aber am besten mit dem Bus. Nur wissen sie natürlich nicht, welchen sie nehmen müssen, wie deutsche Fahrpläne gelesen werden und können noch nicht einmal fragen, was die Fahrt kostet. Also wird einer von uns wohl das Busfahren mit ihnen üben müssen.

 

Heute schaffen wir das allerdings nicht mehr und ehrlich gesagt habe ich, seit ich hier wohne, den eher spärlichen öffentlichen Nahverkehr auch noch nie genutzt. Als ich noch in Osnabrück wohnte, stellte ich mich einfach an die Haltestelle und musste höchstens zehn Minuten auf die richtige Linie warten. Hier in Osterode sollte ich selbst erst einmal den Fahrplan studieren.

 

Außerdem müssen wir die Kinder im Kindergarten anmelden. Mit ihren fünf, drei und zwei Jahren werden sie unsere Sprache vermutlich in Windeseile lernen und auch sonst mehr deutsch als syrisch aufwachsen. Allerdings sind derzeit alle Kindergartenplätze belegt, sagt mir die Leiterin, und unsere drei haben frühestens im Sommer eine Chance. Wo ist eigentlich der demografische Wandel, wenn man ihn mal braucht?

 

 

Rainer hat von zuhause einige aussortierte Spielsachen mitgebracht, die er den Kindern jetzt nicht nur schenkt, sondern auch ausgiebig vorführt. Ist ja klar, vieles, was hier in jedem Kinderzimmer zu finden ist, gibt es in Syrien vermutlich nicht. Also wissen weder die beiden Mädchen, noch der kleine M. was sie damit anfangen sollen. Rainer erklärt geduldig, doch ich bin mir nicht sicher, ob die drei kapieren, warum sie ein Puzzle zusammensetzen sollen, das sie schließlich gar nicht kaputtgemacht haben.

 

Da Rainers Mittagspause gleich schon wieder um ist, schnappe ich mir D. um mit ihm in die Stadt zu fahren und wenigstens etwas heute noch zu erledigen. Immerhin brauchen sie dringend noch eine Kinderkarre, um mit den Kleinen überhaupt mobil zu sein. Wenn wir Glück haben, finden wir im Sozialkaufhaus etwas Passendes. Also ab ins Auto und in die Stadt gefahren. Im Sozialkaufhaus gibt es fast alles, auch ich habe hier schon oft regelrechte Schätze gefunden, nur einen Kinderwagen oder Buggy oder sowas gibt es natürlich gerade nicht.

 

 Vielleicht ist in der Stadt ja gerade der Babyboom ausgebrochen und deshalb sind alle Kinderwagen ausverkauft und alle Kindergartenplätze heiß begehrt, denke ich frustriert. Auch ein Wäscheständer oder das ebenfalls notwendige Bügeleisen sind gerade nicht im Sortiment. Dafür könnten wir aber ein tolles Ölgemälde mit röhrendem Hirsch und eine komplette Sammlung Zinnteller mit Motiven deutscher Hansestädte erwerben. Dummerweise bin selbst ich nicht so integriert, dass mir diese Highlights deutscher Kultur gefallen und so ziehe ich D. schnell nach draußen.

 

 

Damit wir nicht ganz mir leeren Händen nach Hause kommen, fahre ich mit ihm noch beim Landkreis vorbei, wo es seit neustem ein Plakat zur Mülltrennung in verschiedene Sprachen übersetzt gibt. Als ich das hörte, war ich begeistert, weil ich weiß, dass gerade dieses Thema immer wieder zu Streit mit den neuen Nachbarn führt und es als tollen Service empfinde, wenn sich eine Behörde darum kümmert. D. nimmt das Plakat dann zwar in Empfang, meine Begeisterung kann er jedoch nicht so richtig teilen. Wie soll er auch ahnen, mit welcher Akribie in Deutschland der Müll getrennt wird?

 

Wieder zuhause ist meine Laune auf einem absoluten Tiefpunkt angekommen. So mies, dass ich fast den Zeitungsjungen überfahre. „Hallo Christian, was machst du denn hier?“, ruft der allerdings rechtzeitig. Erst jetzt erkenne ich ihn, ein Schüler aus jener Schule, für die ich häufig die Pressetexte schreibe, noch dazu einer derjenigen, die sich für kein Pressefoto zu schade sind und wirklich immer hilfsbereit.

 

Genau das wird ihm jetzt zum Verhängnis, denn er muss sich nun meinen Frust über den erfolglosen Tag anhören und über diese hinderliche Sprachbarriere, die vieles so unnötig viel komplizierter macht. „Klingel doch einfach mal bei den Nachbarn“, sagt er Junge. Die seien nämlich Türken, die Tochter kenne er recht gut, sie würden bestimmt mal beim Übersetzen helfen. Und als habe er meinem Tag nicht ohnehin schon eine unerwartet positive Wendung gegeben, klingelt er dann auch gleich selbst, erklärt der Tochter des Hauses, worum es geht und macht D. mit ihrer Mutter bekannt. Mutter und Tochter sind sofort bereit, am Abend rüberzukommen und D. und F. einige wichtige Dinge zu erklären.