Geschmacksfragen

Shopping Queens - Teil 2

 

Trotz ihrer erst fünf beziehungsweise drei Lebensjahre haben auch S. und A. schon ihren eigenen Geschmack. Der beinhaltet alles, was pink oder rosa, leider aber auch viel zu dünn für die Jahreszeit ist. Die Damen vom DRK verstehen meine Bedenken, F. leider nicht. Vielleicht will sie auch einfach, dass ihre Kinder modisch angezogen sind und nicht schon von weitem nach Kleiderkammer aussehen. Allerdings braucht sie da wenig Bedenken haben, denn das meiste hier, sieht wirklich gut und kaum getragen aus.

 

Aber auch F. selbst und auch D. sind modisch und definitiv westlich angezogen. Er die ganzen Tage schon überwiegend in Schwarz und sie trägt heute einen weißen Pulli mit großer USA-Flagge darauf. Angesichts des Konfliktes in ihrer Heimat kann das allerdings nicht nur Mode sein, sondern ist auch ein Statement, sage ich mir. In der gesamten arabischen Welt werden Pullis mit amerikanischer Flagge wohl kaum ein Verkaufsschlager sein. Selbst meine aus Kuba stammende Schwägerin würde die Stars and Stripes, und seien sie noch so angesagt, nicht anziehen und ich ehrlich gesagt auch nicht.

 

Wirklich schade, dass ich F. und D. nicht danach fragen kann, denn ich bin tierisch neugierig auf ihre Meinung zum Krieg in Syrien, auf ihre Geschichte und nicht zuletzt auch auf ihre Erwartungen an ihr Leben in Deutschland. Irgendwann, so hoffe ich, werden wir ein paar Dinge von ihnen erfahren.

 

 

Jetzt aber sind erst einmal mehrere Plastiktüten gefüllt, die nächste Familie wartet schon und wir wollen uns auf den Heimweg machen. „Bezahlen“, übersetzt D. auf dem Handy und ich schüttele den Kopf, was ihn sichtlich irritiert. Rainer hat inzwischen mitbekommen, dass die Familie, die nach uns dran ist, einige Brocken Englisch spricht und lässt D. erklären, dass sie bei ihrem ersten Besuch hier nichts bezahlen müssen, erste beim zweiten Mal.

 

„Danke“, sagt D. als wir uns, die Kinder und die Tüten zur Tür hinaus schieben, das erste deutsche Wort, das er beherrscht und das ihm ausgesprochen wichtig ist.

 

Auf dem Rückweg und auch noch in der Wohnung angekommen versuchen wir ihn und F. zu fragen, warum sie sich dort nichts ausgesucht haben. Wenn ich sie richtig verstehe, hat ihnen nichts so richtig gefallen, sie würden lieber mal richtig shoppen gehen. Wie weit es denn von hier nach Hannover ist, fragt er per Übersetzungsapp, unsere Antwort, dass sie mit dem Zug fahren und mehrfach umsteigen müssten, scheint er jedoch nicht zu verstehen.

 

Er hat wohl einen Onkel oder entfernten Verwandten in Hannover, erklärt er und ruft diesen schließlich an als unsere Kommunikation wieder einmal ins Stocken gerät. Der Onkel spricht zum Glück gebrochen Deutsch, er könne die Familie am Hauptbahnhof abholen und ein paar Tage bei sich beherbergen, erklärt er, nur wisse er nicht, wie die Züge von Osterode aus fahren. Ich verspreche, mich mal zu erkundigen, auch wenn eine Stimme in meinem Kopf laut schreit: „Wenn du sie hier zum Bahnhof bringst, sie aber in Braunschweig umsteigen müssen, kommen sie überall an, nur ganz sicher nicht in Hannover!“

 

Tatsächlich rufe ich am Abend dann aber doch noch bei der Bahn an und erkundige mich, ob es eine Möglichkeit gibt, die Fahrpläne auf Kurdisch, Arabisch oder Türkisch zu bekommen. Nein, das geht natürlich nicht. Hätte ich mir auch denken können, schließlich braucht die Übersetzung ins Englische die Kapazitäten des Fachpersonals schon völlig auf. „Sänk ju vor trewweling wiß Deutsche Bahn.“

 

 

Aber könnte ich nicht... schließlich muss ich ab und zu auch mal raus aus der Provinz. Wenn ich nun mit der Familie mit einem Gruppenticket nach Hannover fahre, sie dort in die Obhut des Onkels übergebe... Ach nee, dann müssen sie immer noch irgendwie wieder zurückkommen. Schließlich will ich mich nicht beim Onkel einquartieren. Vielleicht mache ich mir auch viel zu viele Sorgen. Schließlich sind D. und F. und erwachsen und definitiv nicht auf den Kopf gefallen. So schwer ist es doch schließlich nicht, in Deutschland mit der Bahn zu fahren.

 

Ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem. In der Nacht träume ich von der Zeit als ich noch an den Wochenenden zwischen Osnabrück und Osterode pendelte und bestimmt jede zweite Woche mindestens einen Anschlusszug verpasste und dann Umwege, einmal sogar über Bremen von Hannover nach Osnabrück, fahren musste oder gleich irgendwo im Niemandsland der niedersächsischen Tiefebene an einem verlassenen, baufälligen Bahnhof auf den versprochenen Schienenersatzverkehr warten musste.

 

Am nächsten Tag ist es dann allerdings D. der das Thema erst einmal vom Tisch wischt. Gerade setze ich an, ihm mittels App und Bildwörterbuch meine Bedenken nahezubringen, da winkt er ab und übersetzt etwas, in dem die Satzteile „nicht wichtig“ und „erst anderes machen“ vorkommen. Kommt mir sehr entgegen. Und selbst wenn ich die wortreiche Übersetzung seines Smartphones nicht richtig verstanden haben sollte, nehme ich meine Interpretation als gegeben und verspreche ihm, dass wir uns irgendwann um seine Shoppingtour nach Hannover kümmern werden. Und Versprechen gelten. Auch über Sprachbarrieren hinweg. Vielleicht sind wir ja in ein paar Wochen auch schon so weit, dass wir sie um einen Zoobesuch mit den Kindern erweitern können. Oder in ein paar Monaten.